Uns Juden ist das Schicksal der Uiguren besonders nahe

Uns Juden ist das Schicksal der Uiguren besonders nahe

Welt, 24.10.2021

Unten ein Artikel aus der Welt, Foto REUTERS/Thomas Peter

Ähnlich wie die Nazis 1936 in Berlin wird Chinas Führung die Olympischen Winterspiele in Peking im Februar dazu nutzen, glanzvolle Bilder zu produzieren – während sie Minderheiten wie die Uiguren brutal unterdrückt. Ein diplomatischer Boykott der Spiele wäre das Mindeste.

In weniger als vier Monaten beginnen in Peking die Olympischen Winterspiele 2022. Während sich Athleten, Kommentatoren und Fernsehsender von der Aura der spektakulären Effekte, der nagelneuen Stadien und der lächelnden Maskottchen blenden lassen, wird der chinesische Staat weiterhin Uiguren, Tibeter, Hongkonger, Taiwanesen und andere Minderheiten brutal unterdrücken.

In Chinas Provinz Xinjiang werden zwischen 1,8 und drei Millionen Uiguren und andere Turkvölker in Konzentrationslagern gefangen gehalten, während sie einer Kampagne der Gehirnwäsche, Folter und Entmenschlichung ausgesetzt sind. Dabei kommt es zur Sterilisierung und Vergewaltigung von Frauen. Gefangene werden gefoltert und medizinischen Experimenten unterzogen.

Es handelt sich um die größte Internierung von religiösen und ethnischen Minderheiten seit dem Zweiten Weltkrieg.

Millionen uigurischer Zwangsarbeiter produzieren für die Lieferketten großer Konzerne – und damit auch für uns im Westen. So kommen 20 Prozent der weltweiten Baumwolle aus Xinjiang, oftmals als Resultat von Zwangsarbeit.

Während in der gesamten Volksrepublik die Geburtenrate steigt, ist diese in den von Uiguren bewohnten Regionen um 60 Prozent zurückgegangen. Das Vorgehen der chinesischen Regierung ist ein moderner Völkermord. Diesen Völkermord haben inzwischen auch die Parlamente und Regierungen der USA, des Vereinigten Königreichs, Kanadas, der Niederlande und Litauens anerkannt.

Trotz des Glanzes der Spiele und unabhängig davon, wie sehr China versucht, jeden Hauch von Widerspruch zu unterdrücken, muss die abscheuliche Realität der Verbrechen gegen die Menschlichkeit für alle sichtbar sein.

Die chinesische Regierung wird das olympische Spektakel als Gelegenheit nutzen, um ihr internationales Ansehen auf der Weltbühne zu verbessern. All jene, die es vorziehen, das zu ignorieren und die Spiele 2022 in Peking als business as usual zu akzeptieren, machen sich mitschuldig an Chinas Völkermord.

Unsere Botschaft ist klar. Die Welt darf nicht zulassen, dass Peking den Genozid an den Uiguren und die brutale Unterdrückung der Menschen in Tibet und Hongkong durch „sport washing“ kaschiert. Alles andere als ein diplomatischer Boykott von Peking 2022 würde den Ruf der Olympischen Spiele und unser kollektives Gewissen für immer beflecken.

Als Juden und Jüdinnen, als Volk, das Genozid und Staatenlosigkeit so gut kennt wie niemand sonst, fragen wir uns oft, warum die Welt während unserer Verfolgung geschwiegen hat und immer noch schweigt. Als junge Aktivisten kämpfen wir täglich gegen zunehmenden Antisemitismus an unseren Universitäten, in unseren Straßen und Parlamenten. Deshalb bedeutet „Nie wieder!“ für uns, zu handeln, es bedeutet aufzustehen, wenn heute ein Genozid verübt wird. Als junge Juden und Jüdinnen fordern wir die Welt dazu auf, ihr Versprechen von „Nie wieder!“ zu erfüllen.

Tatsache ist, dass historische Echos erklingen, wenn wir an Peking 2022 denken. Chinas Völkermord an den Uiguren ist nicht mit den Verbrechen der Shoah vergleichbar. Jedoch ähneln die Mechanismen der Instrumentalisierung und Propaganda denen der Nazis bei den Olympischen Spielen 1936.

Jüngst wurde das olympische Feuer traditionell in der antiken Stadt Olympia entzündet. Die von der chinesischen Regierung veranstaltete Propagandashow verrät jedoch den Geist der Olympischen Spiele. Es ist ein Fackellauf, der vor der Wahrheit über die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang davonläuft.

Als junge Juden und Jüdinnen haben wir eine besondere Verantwortung. Deshalb fordern wir den Geist der Olympischen Spiele zurück. Deshalb werfen Aktivisten in großen Städten in ganz Europa und der Welt mit einem Fackellauf für die Menschenrechte ein Licht auf Chinas Völkermord. Damit die Welt nicht länger wegschaut.

Die Staats- und Regierungschefs, die Sportverbände und die Unternehmen, die Peking 2022 unterstützen, haben noch die Möglichkeit, sich zu positionieren. Werden sie sich auf die Seite des chinesischen Staates und seiner Angriffe auf die Menschenrechte stellen, oder werden sie sich auf die Seite der Gerechtigkeit stellen?

Mischa Ushakov (Jg. 1998, l.) war von 2019 bis 2020 Vorsitzender der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands. Bini Guttmann (Jg. 1996) war in den vergangenen zwei Jahren Präsident der Europäischen Union jüdischer Studierender. Seit diesem Jahr ist er gewähltes Mitglied des Exekutivrats des Jüdischen Weltkongresses.