Diese Frau such seit drei Jahren ihre Schwester

Diese Frau such seit drei Jahren ihre Schwester

Bild, 11.11.2021

Unten ein Artikel aus der Bild, Foto Bild.

Wo ist Gulshan Abbas?

2018 verschwand die uigurische Ärztin in der chinesischen Provinz Xinjiang. Grund für ihr Verschwinden: Ihre Schwester, die Aktivistin Rushan Abbas (54), hatte auf Massenfestnahmen von Uiguren und die Existenz von sogenannten „Umerziehungslagern“ aufmerksam gemacht.

„Sie können mich nicht zum Schweigen bringen. Wo ist meine Schwester? Warum ist sie verschwunden? Lebt sie noch?“, will Rushan Abbas wissen. „Die kommunistische Partei in China begeht Völkermord“, sagt die Aktivistin gegenüber BILD.

Sie lebt in den USA und tourt derzeit mit ihrem Dokumentarfilm über ihre Schwester um die Welt. Aktuell präsentiert sie „In search of my sister“ auch in Deutschland.

Erst im Dezember 2020, viele Monate nach dem Verschwinden ihrer Schwester, hat Rushan aus einer vertrauenswürdigen Quelle erfahren, dass Gulshan Abbas im März 2019 in einem Geheimverfahren zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt wurde.

Bisher fehlt von Gulshan Abbas aber jede Spur. Fakt ist aber: Seit Jahren unterdrückt das chinesische Regime die muslimische Minderheit der Uiguren in Xinjiang brutal! Viele werden in sogenannten „Umerziehungslagern“ festgehalten und gefoltert.

Doch auch zu Rushan Abbas‘ Vorwürfen schweigt man in Peking. Dort nennt man die Aktivistin eine „Separatistin“.

„Wenn ich meinen Aktivismus im Ausland nicht weiter gemacht hätte, wäre meine Schwester vielleicht nicht festgenommen worden. Ich fühle mich manchmal schuldig, aber ich höre nicht auf“, gibt sich Rushan in BILD kämpferisch.

Rushan hatte eine sehr enge Beziehung zu ihrer Schwester. Sie ist in einer gebildeten und intellektuellen Familie in Xinjiang aufgewachsen. Die Mutter war Ärztin. Der Vater, ein Biologe, warPräsident der Union für Wissenschaft und Technologie in Xinjiang. Rushan hat insgesamt vier Geschwister.

Diskriminierung und Unterdrückung durch die von ethnischen Han-Chinesen dominierte Regierung hat sie seit ihrer Kindheit erlebt.

Ihr Großvater war drei Jahre im Gefängnis. Auch Rushans Vater, der während der Kulturrevolution (1966-1976) als „Konterrevolutionär“ galt, wurde zu „Umerziehungsmaßnahmen“ gezwungen.

„Meine Kindheit in China war wie ein Rätsel und verwirrend: Ich wusste nicht, warum wir anders behandelt wurden, warum mein Opa drei Jahre im Gefängnis war“, erzählt Rushan. Einmal habe sie ihren Vater gefragt, welches Verbrechen ihnen vorgeworfen würde. „Seine Antwort war, dass ich es verstehen würde, wenn ich erwachsen bin“, so Rushan.

Sie hat den Grund schnell verstanden und sich politisch an der Universität Xinjiang engagiert. 1989 zog Rushan in die USA, nachdem sie ihren Job als Referentin an einer Universität in China verloren hatte. Auch die anderen Geschwister verließen China – außer ihrer älteren Schwester. Die wollte in ihrer Heimat bleiben.

„Meine Schwester glaubte der chinesischen Regierung. Sie sagte: ‚Ich habe als Ärztin gearbeitet und bin jetzt Rentnerin. Ich habe ein ganz einfaches Leben, mir wird nichts passieren‘“, erklärt Rushan. Deswegen habe sie ihre Schwester aus Angst, dass die Regierung davon erfährt und ihre Schwester in Gefahr gerät, nicht mehr kontaktiert. „Das hat mir immer weh getan“, erzählt Rushan in BILD.

„Menschen, vor allem Frauen, werden im Lager vergewaltigt, es wird medizinisch mit ihnen experimentiert – es ist wie in den Konzentrationslagern der Nazis im Zweiten Weltkrieg. Und die internationalen Unternehmen profitieren immer noch von der Zwangsarbeit der Uiguren“, klagt Rushan. „Die Uiguren in Ostturkestan brauchen mehr internationale Unterstützung, wo sind die Feministinnen? Wo sind die Menschenrechtsverteidiger?“