Das Parlament treibt den Bundesrat in der China-Politik vor sich her – Industrie warnt Bern vor Sanktionen gegen Peking

Das Parlament treibt den Bundesrat in der China-Politik vor sich her – Industrie warnt Bern vor Sanktionen gegen Peking

NZZ, 14.07.2021

Unten ein Artikel von NZZ, Foto China Daily CDIC / Reuters.

Der Entscheid fiel mit hauchdünner Mehrheit. Vor der Sommerpause sprach sich die Aussenpolitische Kommission (APK) des Nationalrats dafür aus, dass der Bundesrat das Freihandelsabkommen (FHA) mit China neu verhandelt. Bern solle mit Peking ein Kapitel zur Einhaltung der internationalen Standards bei den Menschen- und Arbeitsrechten anstreben. Dafür setzte sich die Gesellschaft für bedrohte Völker ein, die die Unterdrückung der Uiguren anprangert.

Der Bundesrat verfolgt bis anhin andere Pläne: Er will das FHA modernisieren, um den Marktzugang von Schweizer Firmen zu verbessern. Für die APK genügt dies nicht. Angesichts der schweren Anschuldigungen gegen Peking sei es berechtigter denn je, Kriterien zur Einhaltung der Menschen- und Arbeitsrechte aufzunehmen, wenn chinesische Produkte hierzulande kommerzielle Vorteile erhielten. Ähnliche Regelungen seien auch in jüngst unterzeichneten Freihandelsabkommen enthalten.

Der Beschluss der APK muss noch vom Nationalrat und von der ständerätlichen Schwesterkommission bestätigt werden. Aber er ist nur einer von mehreren chinakritischen Entscheiden. Das Parlament verfolgt zusehends einen härteren Kurs als der Bundesrat – und treibt diesen vor sich her. Gegen dessen Willen sprachen sich die Räte bereits für einen Vorstoss aus, der die Einführung von Investitionskontrollen verlangt und sich vor allem gegen China richtet.

Bundesrat spielt auf Zeit

Der Bundesrat spricht in seiner China-Strategie zwar auch die Herausforderungen an, verfolgt aber weiterhin einen zurückhaltenden Kurs. Im gegenwärtig heikelsten Fall macht er, was er in schwierigen Situationen häufig tut. In der Frage, ob sich die Schweiz den thematischen Menschenrechtssanktionen der EU anschliessen soll, spielt die Regierung auf Zeit. Eine Arbeitsgruppe des Wirtschafts- und Aussendepartements prüft seit Monaten, wie Bern mit den Strafmassnahmen umgehen soll, die Brüssel wegen der Repression der Uiguren gegen China ergriffen hat.

Laut Quellen in der Verwaltung fehlt der Schweiz im Embargogesetz die Grundlage, um thematische Menschenrechtssanktionen zu übernehmen. Diese sind ein neueres Mittel. Die EU hat dafür erst 2020 die rechtlichen Grundlagen geschaffen. Ihre thematischen Menschenrechtssanktionen richten sich nicht nur gegen China, sondern auch gegen Russland, Nordkorea, Libyen, Eritrea und den Südsudan.

Übernimmt die Schweiz die thematischen Sanktionen im Grundsatz oder ergreift Massnahmen gegen die Umgehung, dürfte es schwierig werden, beim nächsten Mal nicht mitzuziehen. Livia Leu, die Staatssekretärin im Aussendepartement, äusserte sich vor kurzem an einem Mediengespräch nur zurückhaltend zur Problematik. Thematische Menschenrechtssanktionen entsprächen nicht ganz dem Schweizer System, sagte sie.

Kritische Töne auch aus der FDP

Nationalrat Fabian Molina (sp., Zürich) kritisiert, der Bundesrat agiere in der China-Frage zahnlos und lediglich reaktiv. Im Parlament habe der Wind jedoch gedreht. «Die Naivität, die in der Schweiz im Umgang mit Peking lange vorherrschte, ist verschwunden», sagt der Aussenpolitiker. In der Bevölkerung gebe es ebenfalls ein wachsendes Bewusstsein, dass die Schweiz eine globale Verantwortung habe. Die Gewinne der Globalisierung seien lange zu ungleich verteilt worden, was zu einer undifferenzierten Skepsis geführt habe.

Kritischere Töne kommen auch aus der Mitte und der FDP. Das Prinzip Wandel durch Handel habe nicht ausreichend funktioniert, sagt der Luzerner Ständerat Damian Müller, Präsident der APK. Das Freihandelsabkommen mit China fände ohne Standards für Menschenrechte oder Nachhaltigkeit, wie sie im Vertrag mit Indonesien enthalten seien, heute kaum mehr eine Mehrheit.

«Aus Schweizer Sicht gibt es klare Bedingungen, die erfüllt sein müssen», sagt Müller. Im FHA mit China brauche es ein Kapitel zu den Menschen- und Arbeitsrechten sowie zur Nachhaltigkeit. Bei den thematischen Menschenrechtssanktionen, wie sie die EU vorsehe, solle sich Bern dagegen darauf konzentrieren, Umgehungsmöglichkeiten zu vermeiden. Mit entsprechenden Massnahmen könnte er leben, sagt der Ständerat.

Fragwürdige Wirkung

Der chinakritische Kurs stösst in der Exportwirtschaft auf Widerstand. Das Reich der Mitte ist für diese einer der wichtigsten Absatzmärkte. Swissmem, der Verband der Schweizer Maschinenindustrie, wehrt sich in einem Brief an den Bundesrat gegen eine Übernahme der thematischen Menschenrechtssanktionen der EU. Sanktionen hätten kaum Einfluss auf den betroffenen Staat und verschlechterten nur die Lebensumstände der lokalen Bevölkerung, sagt der Sprecher Jonas Lang.

Zudem könne die Schweiz als neutrale Vermittlerin hinter den Kulissen mehr erreichen. Gerade kleine Staaten hätten zudem ein grosses Interesse, dass in Streitfällen multilaterale Verfahren im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) oder der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) angewendet würden, sagt Lang.

Kritisch sieht Swissmem auch Massnahmen gegen die Umgehung der Sanktionen der EU. Diese würden verhindern, dass betroffene Chinesen Sanktionen via die Schweiz umgingen. Eine entsprechende Verordnung hat Bern zwar bereits erlassen, nachdem Russland die Krim annektiert hatte. Damals sei die Verletzung des Völkerrechts aber glasklar gewesen, sagt Lang – anders als es bei China der Fall sei. Das spreche dafür, die Sanktionen der EU und der USA nicht zu übernehmen. Stattdessen solle Bern zuwarten, bis ein Bericht der ILO zur weltweiten Zwangsarbeit vorliege. Selbst wenn Klarheit herrsche, müssten Massnahmen zur Vermeidung von Umgehungsgeschäften eng gefasst werden.

Skeptisch reagiert der Industrieverband ebenfalls auf die Forderung, das Freihandelsabkommen mit einem Kapitel zu den Menschenrechten zu ergänzen. «Ein solches Kapitel wäre wünschbar, wird in China aber auf taube Ohren stossen», sagt Lang. Swissmem strebe beim FHA eine weitere Zollbefreiung bei Exporten an. Ein Anliegen, dem China bis anhin eine Absage erteilt hat. «Das wird garantiert auch der Fall sein, wenn die Schweiz ein Kapitel zu den Menschen- und Arbeitsrechten fordert», sagt Lang. Es gebe geeignetere Gremien, um den Menschenrechtsdialog zu führen.

Wie sich die Politik im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichen Interessen und den Menschenrechten entscheidet, dürfte sich in den kommenden Monaten zeigen. Schweizer Firmen sind von den westlichen Sanktionen allerdings indirekt ohnehin betroffen. Namentlich die Strafmassnahmen der USA haben immer wieder eine extraterritoriale Wirkung entfaltet.