Was muss sich China noch leisten, bevor Europa reagiert?

Was muss sich China noch leisten, bevor Europa reagiert?

Welt, 07.12.2021

Unten ein Artikel aus der Welt, Foto AP.

Die systematische Verfolgung der Uiguren in China ist ein Fakt. Und doch kann sich Europa nicht zu einem Boykott der Olympischen Winterspiele in Peking durchringen. Dabei ist gemeinschaftliches Handeln genau das, wozu wir die EU brauchen. Die USA sind schon weiter.

Man kann unterschiedlicher Meinung sein, ob die systematische Verfolgung der uigurischen Minderheit in China, ihre Einkerkerung in Umerziehungslagern, die Zerstörung von Moscheen und historischen Stätten und die Zwangssterilisierung uigurischer Frauen ein Völkermord sind oder ein „kultureller Genozid“, wie manche es bezeichnen. Relevanter jedoch ist eine andere Frage: Welche massiven Menschenrechtsverletzungen muss sich das Pekinger Regime eigentlich noch leisten, bevor die internationale Gemeinschaft einen Boykott der Olympischen Winterspiele in China in Erwägung zieht?

Die USA sind jetzt vorgeprescht und haben angekündigt, die Spiele zumindest diplomatisch zu boykottieren und keine offiziellen Vertreter der US-Regierung zu schicken. Das ist ein kleiner Schritt, aber zumindest geht er in die richtige Richtung. Und es ist weitaus mehr, als etwa die EU bisher bereit ist zu tun.

Es ist nur zu begrüßen, dass die Amerikaner hier wieder ihre traditionelle Rolle als Führungsmacht der freien Welt einnehmen. Und es ist höchste Zeit, dass Europa dem amerikanischen Vorbild folgt. EU-Offizielle lieben es, von den Werten zu sprechen, die angeblich als Leitlinie für europäische Außenpolitik dienen sollen. Nun ist es an der Zeit, auch einmal Taten folgen zu lassen.

Und ein gemeinschaftlicher diplomatischer Boykott ist auch genau das, wozu wir eine Institution wie die EU eigentlich brauchen. Denn wenn das ein oder andere europäische Land solch eine Maßnahme allein beschlösse, müsste es Angst haben vor chinesischer Vergeltung. Alle EU-Länder zusammen plus die USA bringen aber genug Gewicht auf die Waage, um es auch anderen freiheitlich gesinnten Ländern zu ermöglichen, das zu tun, was moralisch geboten ist.

Sicher, ein diplomatischer Boykott tut China nicht wirklich weh. Er ist eine symbolische Geste, die eher dazu angetan ist, unser eigenes Gewissen zu beruhigen. Es ist aber dennoch wichtig, dass eine möglichst große Zahl an Ländern ein Zeichen setzt und deutlich macht: Es ist eben nicht normal, wenn ein Staat die auf Völkerverständigung abzielenden Olympischen Spiele ausrichtet – und gleichzeitig die Identität von Minderheitenvölkern im eigenen Land auslöschen will.

Ein diplomatischer Boykott mag unzureichend erscheinen angesichts der monströsen chinesischen Verbrechen an Uiguren, Tibetern oder der Freiheitsbewegung in Hongkong. Es ist aber immer noch besser, das Richtige nur ein bisschen zu tun, als gar nichts zu tun.