Warum sind die Winterspiele so umstritten?

Warum sind die Winterspiele so umstritten?

Tagesschau, 9.12.2021

Unten ein Artikel aus der Tagesschau, Foto Tagesschau.

Die Olympischen Winterspiele in Peking werden noch mehr als die Geisterspiele von Tokio zum Problemfall für das IOC. Doch warum gibt es so viel Kritik? Und was sagen die Veranstalter? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Menschenrechtsverletzungen in China – welches Ausmaß haben sie?

In der Volksrepublik herrschen weder Meinungs-, noch Presse- oder Religionsfreiheit. Minderheiten wie Tibeter und Uiguren sind benachteiligt. Seit einigen Jahren leiden die Uiguren massiv unter der Unterdrückungspolitik des chinesischen Staates.

Man geht davon aus, dass mehr als eine Million Uiguren in der chinesischen Provinz Xinjiang in sogenannten Umerziehungslagern interniert sind. Es gibt Berichte über Zwangssterilisationen und Abtreibungen, erzwungene Organentnahmen und Folter. Human Rights Watch und einige westliche Regierungen sprechen von „Völkermord“.

Vertreter von Uiguren, Tibetern und der zuletzt schwer unter Druck geratenen Opposition in Chinas Sonderverwaltungszone Hongkong haben sich im Vorfeld der Winterspiele im Protest gegen die chinesischen Machthaber zusammengetan und eine Olympia-Verlegung gefordert. Zuletzt bezeichnete NBA-Star Enes Kanter den chinesischen Präsidenten Xi Jinping als einen „brutalen Diktator“.

Auch der Fall der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai hat für weltweite Kritik gesorgt. Die 35-Jährige hatte Anfang November im sozialen Netzwerk Weibo Vorwürfe wegen eines sexuellen Übergriffs durch einen chinesischen Spitzenpolitiker veröffentlicht. Ihre Mitteilung wurde bald danach gelöscht. Seither äußern Sportler, Politiker und Menschenrechtler Sorgen um das Wohlergehen von Peng. Die Damen-Tour WTA hatte zuletzt angekündigt, alle Turniere in China und Hongkong auszusetzen.

Wie reagiert die Olympia-Welt auf die Vorwürfe?

Einige Länder haben inzwischen angekündigt, deswegen keine Regierungsvertreter zu den Spielen nach Peking zu schicken. Die USA machten den Anfang, Australien, Kanada und Großbritannien folgten. Es handele sich „um einen diplomatischen Boykott“, sagte der britische Premierminister Boris Johnson. Pläne für einen „sportlichen Boykott“ gebe es aber nicht.

Der kanadische Premier Justin Trudeau schrieb zur Begründung auf Twitter: „Kanada bleibt zutiefst verstört angesichts der Berichte über die Verletzung von Menschenrechten in China“.

Und wie geht China mit den Ankündigungen um?

Chinas Führung reagiert höchst verärgert. „Es ist eine Verhöhnung des olympischen Geistes, eine politische Provokation und ein Angriff auf 1,4 Milliarden Chinesen“, sagte ein Außenamtssprecher. Der Schritt sei ein Verstoß gegen die „politische Neutralität im Sport“, die USA würden „den Preis für ihr Fehlverhalten bezahlen„. Der Versuch, die Spiele „aus ideologischen Vorurteilen heraus zu behindern, die auf Lügen und Gerüchten beruhen, wird nur ihre finsteren Absichten aufdecken“, sagte er.

Wegen der Pandemie sind die Kapazitäten für ranghohe Besucher aber ohnehin begrenzt. So waren auch zu den Sommerspielen in Tokio nicht viele Politiker gereist.

Gibt es auch Länder, die mit einem Boykott nichts zu tun haben wollen?

Ja, unter anderem Russland. Präsident Wladimir Putin gehört zu jenen, die für Peking zugesagt haben. „Aus unserer Sicht sollten die Olympischen Spiele frei von Politik sein“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Es sei jedoch positiv zu werten, dass die US-Athleten nicht von der Entscheidung Washingtons betroffen seien.

Russland trete dafür ein, dass die Politik aus olympischen Angelegenheiten herausgehalten werde, sagte Peskow der russischen Agentur Interfax zufolge.

Wo steht Deutschland in dieser Angelegenheit?

Die neue Außenministerin Annalena Baerbock setzt auf ein „gemeinsames europäisches Vorgehen“. Mehr ist derzeit nicht zu hören. Nach Worten von Menschenrechtlern muss die neue Bundesregierung einen deutlich schärferen Ton gegenüber China anschlagen. Angesichts der massiven Menschenrechtsverletzungen dürfe „das Duckmäusertum der Merkel-Jahre keinesfalls fortgesetzt werden“, erklärte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Göttingen. Ein diplomatischer Boykott, sei „das Allermindeste“.

Was sagt das IOC?

IOC-Chef Thomas Bach bezeichnete die Frage eines diplomatischen Boykotts als „rein politische Diskussion.“ Der Dachverband sei „politisch neutral.“ Für das IOC sei allein die Teilnahme der Athleten entscheidend.

Gibt es noch andere Kritikpunkte an der Ausrichtung?

Ja, die Umweltbelastung. Umweltschützer laufen seit Jahren Sturm gegen Winterspiele in einer Stadt, die in einer Zone mit Wüstenklima liegt – die Wüste Gobi befindet sich in der Nähe. In der Gegend um Peking schneit es deshalb praktisch nie, weil es im Winter kaum Niederschläge gibt.

Gleiches gilt für die neuen Skigebiete, die in die Berge und Wälder des Nationalparks Yanqing Songshan, rund 100 Kilometer außerhalb Pekings, planiert wurden. Umweltschützer hatten Pekings Bewerbung, die mit „Umweltfreundlichkeit“ und „ergiebigen Wasserressourcen“ nahe den Sportstätten warb, von Anfang an als Farce bezeichnet. Tatsächlich ist die Gegend um Peking Wassernotstandsgebiet, die Regierung lässt in großem Stil Wasser aus Südchina umleiten, um die Stadt am Leben zu erhalten.

Ist Spionage auch ein Thema?

In der Tat. Der Deutsche Alpin-Chef Wolfgang Maier bezeichnete die Spiele im BR als „die schwierigsten Olympischen Winterspiele“, die er bislang betreute – auch wegen der Sorge um mögliche Technikspionage. „Wir haben mit dem Bundesnachrichtendienst Kontakt gehabt, weil wir doch sensible Daten mitbringen. Wachsdatenbanken und Forschungen“, erklärte Maier: „Die sagen, alles zuhause lassen, ja nichts mitnehmen. Weil in dem Moment, in dem du reingehst, sehen die alles, was wir über Jahre gemacht haben.“ Jeder wisse, dass die Daten abgegriffen werden, „das ist ein extrem unangenehmes Gefühl“, so Maier.

Mit Skifahren habe er sich zuletzt eher wenig beschäftigt. Stattdessen mit Spionageabwehr. „Das sind alles so Sachen, auf die sind wir nicht wirklich vorbereitet, denn wir wollen ja eigentlich nur Sport machen.“ Um zu verhindern, dass in China wertvolle Daten abgeschöpft werden, sollen nun komplett eigene Geräte und Laptops mitgenommen werden, „auf denen nur das Notwendigste drauf ist. Denn sonst wäre alles weg, was wir jemals herausgefunden haben.“

Wie reagieren die Athleten auf die anhaltenden Debatten?

„Es gibt eine hohe Sensibilisierung innerhalb der Athletenschaft für die problematische Lage in China“, sagte Maximilian Klein von Athleten Deutschland der Sportschau. Man habe Zweifel, dass deren Rede- und Meinungsfreiheit in China beschützt werde. Eine Reihe von Sportlerinnen und Sportlern hat sich bereits kritisch über die Vergabe der Spiele an Peking geäußert. Menschenrechtsverstöße, der Gigantismus der olympischen Sportstätten und die fehlende Wintersporttradition stören nicht wenige Teilnehmer.

Hinzu kommt die Sorge wegen der knallharten Corona-Regeln. „Die Bedingungen, die wir da vor Ort erlebt haben, die sprechen dafür, da nicht unbedingt noch einmal hinzufahren“, sagte Rodel-Olympiasiegerin Natalie Geisenberger, die bei Testwettkämpfen in Quarantäne musste.

Wie ist eigentlich derzeit die Corona-Lage?

China hat das Virus gut im Griff. Nach einer längeren Phase ohne Infektionen hat die Delta-Variante seit Herbst aber auch in der Volksrepublik die Pandemiebekämpfung erschwert. Mit Massentests, Kontaktverfolgung, Zwangsquarantäne und Einreisebeschränkungen haben die Behörden die Lage aber unter Kontrolle. Seit Mitte Oktober wurden knapp 2000 Fälle gezählt – auf 1,4 Milliarden Chinesen. Heute werden täglich nur einige Dutzend lokale Ansteckungen berichtet.

An der strikten „Null-Covid-Strategie“ will die Regierung auf keinen Fall rütteln. Studien sagen einige Hunderttausend Ansteckungen am Tag voraus, falls China die Grenzen wie andere Länder öffnen würde.

Welche Rolle spielt Omikron?

Die neue Virusvariante Omikron hat die ohnehin große Nervosität der Gastgeber noch einmal erhöht. Alle Vorsichtsmaßnahmen dürften verschärft werden. Die Athleten und andere ausländische Teilnehmer dürfen sich ohnehin nur in „geschlossenen Kreisläufen“ zwischen Unterkunft und Wettkampfstätten oder Medienzentren bewegen. Auch sind tägliche Tests geplant. Gab es bei den Sommerspielen in Tokio eher eine „Blase mit Löchern“, durch die Teilnehmer auch mal ins Land schlüpfen konnten, erwarten Diplomaten in Peking vielmehr eine hermetische Abriegelung mit „doppelten Wänden“.

Wäre eine Absage oder Verlegung der Spiele eine Option?

Nein. Auch Omikron hat die Entschlossenheit der Organisatoren nicht erschüttern können. Es möge zwar „einige Herausforderungen“ geben, aber man gehe davon aus, dass die Spiele „reibungslos und erfolgreich“ abgehalten werden können, sagte ein Regierungssprecher. Es ist ein großes Propaganda-Ereignis, auf das die kommunistische Führung auf keinen Fall verzichten möchte. Auch will China dem Rivalen Japan nach den Sommerspielen in Tokio zeigen, wie gut oder sogar um wie viel besser die Spiele in Peking organisiert werden.

Wie sieht es mit der Zulassung von Zuschauern aus?

Ausländische Zuschauer wird es bei den Winterspielen in Peking nicht geben. Inländische Besucher sollen streng kontrolliert mit Impfungen und Corona-Tests zugelassen werden. Allerdings gibt es noch keine Möglichkeiten für normale Chinesen, Eintrittskarten zu buchen. Der Mangel an Informationen führte zu Gerüchten, dass vielleicht nur geladene und ausgesuchte Zuschauer erlaubt werden. Vielleicht wollen die Organisatoren auch noch die Entwicklung weiter abwarten.