Wir müssen über China reden

Wir müssen über China reden

Zeit online, 16 März 2020

Unten ein Artikel von Zeit online, Foto KEYSTONE

 Martin Klingst – Zu Recht ziehen Donald Trump und sein verheerendes Krisenmanagement viel Kritik auf sich. Auch ich habe in meiner letzten Kolumne darüber geschrieben. Amerikas irrlichternder Präsident sieht im Coronavirus nach wie vor einen ausländischen Feind. Einreiseverbote können Zeit gewinnen, um sich auf die unabwendbare Pandemie vorzubereiten. Doch Trump hat diese Zeit vergeudet.


Deshalb haben die USA noch immer keine genauen Daten über die Ausbreitung von Covid-19. Es fehlen weiterhin Testsätze und, für den Fall, dass das Virus im ganzen Land dramatisch zuschlägt, ausreichend Sauerstoffgeräte und Betten in Intensivstationen.

Doch mit diesen Problemen stehen die Vereinigten Staaten nicht allein, viele Länder sind ungenügend vorbereitet, obwohl Wissenschaftler schon seit Langem vor einer derartigen Pandemie warnen und medizinische, gesellschaftliche wie sicherheitspolitische Vorkehrungen angemahnt haben.

Doch wenn Covid-19 hoffentlich eines Tages Geschichte sein wird, gilt es nicht nur über diese Versäumnisse zu reden und Konsequenzen daraus zu ziehen. Ernsthaft reden müssen wir auch über unser Verhältnis zur Führung der Volksrepublik China – und nicht in erster Linie, weil einige der letzten Epidemien und Pandemien im Reich der Mitte ihren Ursprung hatten. Sie hätten auch anderswo entstehen können.

In Chinas Abhängigkeit

Das Corona-Virus und seine Folgen führen uns drastisch vor Augen, wie abhängig wir von China geworden sind, vor allem wirtschaftlich. China ist Zulieferer von nahezu allen technischen und pharmakologischen Produkten. Die Engpässe treffen uns hart – und existenziell.

Mehr noch: Seit Langem baut China nicht nur seine militärische Macht aus, sondern versucht, mit seinem Seidenstraßenprojekt und massiven Investitionen in Afrika, Asien, Lateinamerika sowie einigen Staaten der Europäischen Union seinen Einfluss zu mehren. Das Ziel ist klar: Pekings Führung will Abhängigkeiten schaffen.

Selbstverständlich ist China ein wichtiger ökonomischer Partner – und wird und sollte es auch bleiben. Dennoch muss dem längst nicht mehr klammheimlichen Streben nach globaler Vorherrschaft ein Riegel vorgeschoben werden. Nicht nur weil China ein übermächtiger wirtschaftlicher Konkurrent ist, sondern auch wie Bundeskanzlerin Angela Merkel richtig erkannt hat: ein systemischer.

China zermalmt Menschenrechte und Werte

Politisch lebt Pekings Führung auf einem anderen Planeten als der Westen. Sie duldet keinen Widerspruch, sie verfolgt brutal politische Gegner, sie hat etwa eine Million muslimischer Uiguren in Lager gesperrt und baut Schritt für Schritt einen allumfassenden Überwachungsstaat aus. Dieses China zermalmt tagtäglich sämtliche Menschenrechte und Werte, die der westlichen liberalen Ordnung trotz Donald Trump und einiger anderer Autokraten in den eigenen Reihen zum Glück nach wie vor wichtig und teuer sind.

Leider schauen manche im Westen mit einer gewissen Bewunderung darauf, wie China derzeit die massenhafte Ausbreitung des Coronavirus im eigenen Land eindämmt. Einige würden der Volksrepublik wohl gerne nacheifern.

Der Preis dieses scheinbaren Erfolges: Wer in seine Wohnung oder zu seinem Arbeitsplatz will, wird anhand eines ihm vorher zugeteilten QR-Code gescannt, er muss seinen Namen und seine Identifikationsnummer eingeben, die Körpertemperatur wird gemessen und er muss angeben, wo er überall gewesen ist.

Drohnen überwachen die Bevölkerung. Wer zum Beispiel keine Gesichtsmaske trägt, wird sofort herausgefiltert. Die Information landet unmittelbar bei der Polizei, die unverzüglich einschreitet. Mithilfe einer neuen Gesichtserkennungstechnologie lässt sich inzwischen anscheinend sogar herausfinden, wer Fieber hat. Eine Reihe neuer Apps speichern nicht nur die persönlichen Gesundheitsdaten, sondern warnen andere davor, falls sich jemand mit Gesundheitsproblemen in ihrer Nähe befindet.

Bürger werden belohnt, wenn sie ihre Mitbewohner oder Kollegen am Arbeitsplatz überwachen und jeden Verdacht einer Erkrankung unverzüglich anschwärzen. Wer gegen die Auflagen verstößt, wird streng bestraft und mitunter auch von der Polizei zusammengeschlagen.

Wie derzeit jeder Mensch im Westen erlebt, werden auch hier Freiheiten zum Schutz der Allgemeinheit eingeschränkt. Mitunter verlangen Katastrophen außergewöhnliche Maßnahmen. Doch lassen sich diese Freiheitsbeschränkungen nicht mit den brutalen chinesischen Methoden vergleichen. Und in einer Demokratie kann man immer noch darauf vertrauen, dass die Einschränkungen mit dem Ende der Pandemie auch wieder aufgehoben werden.

Coronavirus nur ein neuer Vorwand

Für Chinas Führung jedoch ist das Coronavirus ein neuer Anlass, um ihren Anspruch auf eine totale Überwachung der Bevölkerung weiter auszudehnen und beizubehalten – so wie sie es auch bei den Olympischen Spielen tat. Kontrollzwang und Machtausdehnung machen an den Landesgrenzen keinen Halt, sondern sind Teil des gegenwärtigen chinesischen Systems.

Der freiheitliche Westen muss diese Herausforderung ernst nehmen und sich ihr gemeinsam stellen. Nicht nur zum eigenen Schutz, sondern auch zum Schutz der wachsenden Zahl von Chinesen, die gerade in diesen Corona-Tagen mutig gegen dieses System aufbegehren.

https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-03/coronavirus-china-krise-abhaengigkeit-menschenrechte-ueberwachung-westen-konkurrenz-5vor8