Verbrechen gegen Uiguren: Chinas Kader im Visier

Verbrechen gegen Uiguren: Chinas Kader im Visier Xinjiang Uyghur Autonomous Region (XUAR) Party Secretary Chen Quanguo attends a group discussion session on the second day of the 19th National Congress of the Communist Party of China at the Great Hall of the People in Beijing, China October 19, 2017. REUTERS/Tyrone Siu – RC1745DEEE00

Spiegel ONLINE, 12.10.2019

REUTERS/Tyrone Siu

Vanessa Steinmetz Sanktionen der USA könnten ein Mitglied des Politbüros in China treffen: Chen Quanguo gilt als Mastermind hinter den Straflagern in Xinjiang. Aber warum bestraft Washington erst jetzt die Verbrechen gegen die Uiguren?

Geht es um die Umerziehungslager im chinesischen Xinjiang, gibt es zwei Versionen, die dazu im Netz kursieren: Die Propagandabilder von tanzenden, glücklichen Menschen – und die Bilder von von Stacheldraht umzäunten Gefängnissen, in deren Innenhöfen Menschen mit verbundenen Augen ausharren.

Seit Jahren errichtet die chinesische Regierung in Xinjiang einen Überwachungsstaat, der seinesgleichen sucht. In der Region leben Mitglieder der muslimischen Uiguren-Minderheit, die für mehrere Terroranschläge verantwortlich gemacht wird. Doch inzwischen geht Peking nicht mehr nur mit Kameraüberwachung und Bartverboten gegen eine ganze Bevölkerungsgruppe vor.

Menschenrechtsorganisationen sind sicher, dass zwischenzeitlich bis zu einer Million Menschen – vor allem Uiguren – in den sogenannten Umerziehungslagern festgehalten wurden. Es gibt glaubhafte Berichte von ehemaligen Internierten, die von politischer Indoktrination und Misshandlungen berichten. Zahlreiche Angehörige wenden sich verzweifelt an die westliche Presse, weil der Kontakt zu den Lagerinsassen abgebrochen ist. Kinder müssen ohne Eltern aufwachsen. Es gibt Berichte über Zwangsarbeit.

Die Bilder, die Peking von den Lagern präsentiert, sind andere: Bei Presseterminen werden ausländische Journalisten und Regierungsvertreter durch Gebäude geschleust, in denen Menschen angeblich für Berufe ausgebildet werden – und nebenbei von terroristischen Gedanken befreit werden sollen. Sie tanzen, lesen chinesische Texte vor, sprechen von Dankbarkeit.

„Mastermind“ hinter den Zwangslagern

Die USA wollen sich die heile Welt der Uiguren unter Pekings Regime nicht mehr vorspielen lassen – und greifen hart durch: Vor wenigen Tagen verkündete US-Außenminister Mike Pompeo, dass 28 chinesische Firmen und Organisationen sanktioniert werden sollen. Zudem werde die Visa-Vergabe für jene Mitarbeiter von Regierung und Partei eingeschränkt, die an der „Festnahme und Misshandlung“ von Uiguren, Kasachen und anderen muslimischen Bevölkerungsgruppen in Xinjiang beteiligt seien. Konkrete Namen nannte Pompeo nicht.

Fest steht aber, dass damit ein Mitglied des mächtigen Politbüros der Kommunistischen Partei in den Fokus der Amerikaner gerät: Chen Quanguo, Parteisekretär in Xinjiang. Der Branchendienst Bloomberg nannte ihn den „Mastermind“ hinter den Zwangslagern in der autonomen Region im Westen Chinas. Schon seit Monaten wird von Experten gefordert, Chen mit Sanktionen zu belegen. 2016 setzte ihn Peking in Xinjiang ein, zuvor war Chen bereits in Tibet aktiv – einer für Peking ebenfalls heiklen Region, in der es immer wieder zu Aufständen kommt.

Als oberstes Ziel für Xinjiang soll von der chinesischen Regierung ausgegeben worden sein, die Stabilität zu wahren – dafür sind offenbar alle Mittel recht. „Die Unterdrückung der Uiguren ist einer der schlimmsten Verstöße gegen die Menschenrechte, nur noch überboten von den Massakern in Syrien“, schrieb Jonathan Schanzer, Vizepräsident der US-amerikanischen Stiftung zur Verteidigung der Demokratie, in einem Beitrag in der „Washington Post“. Chen sei einer der „schlimmsten Menschenrechtsverbrecher aller Zeiten“. Die Beweise gegen den KP-Politiker seien nicht zu bestreiten, so Schanzer.

Chen soll sich an Vorgaben halten, die 2014 bei einer Konferenz von Chinas Präsident Xi Jinping persönlich ausgegeben wurden, heißt es in der „South China Morning Post“. Demnach dienen die Maßnahmen in Xinjiang inzwischen als beispielhaft. Es sei denkbar, dass sie auch in anderen Regionen bald angewendet würden.

„Erfundene Vorwände für ihre Einmischung“

Warum hat sich Washington erst jetzt zu den Sanktionen durchgerungen? Die internationale Kritik reißt seit Jahren nicht ab, auch die USA haben die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang mehrfach angeprangert. Pompeo selbst nannte die Vorgänge schon vor Monaten „eine der schlimmsten Menschenrechtskrisen unserer Zeit“ und „den Schandfleck unseres Jahrhunderts“.

Noch im Juni hatte US-Präsident Donald Trump seinen Vizepräsidenten Mike Pence jedoch zurückgepfiffen. Bloomberg berichtet, Pence habe zum 30. Jahrestag des Massakers vom Tiananmen-Platz eine Rede zur Situation der Menschenrechte in der Volksrepublik halten wollen – und gleichzeitig Sanktionen gegen chinesische Firmen geplant, die an der Überwachungstechnologie in Xinjiang beteiligt sind. Trump habe aber nicht die bevorstehenden Gespräche beim G20-Gipfel in Japan wenige Wochen später torpedieren wollen, hieß es.

Die Sanktionen kommen nun erneut zu einem heiklen Zeitpunkt: Gerade nehmen die USA und China den Dialog in ihrem andauernden Handelsstreit wieder auf. Offenbar setzt Trump auf maximalen Druck: Sollte in den aktuellen Gesprächen kein Durchbruch erzielt werden, sollen bestehende Strafzölle auf chinesische Importe von 25 auf 30 Prozent erhöht werden, teilte das Weiße Haus mit. Dabei zürnt Peking ohnehin schon wegen der Sanktionen zu den Uiguren.

Ein weiterer Grund für die nun deutliche Verurteilung der Vorgänge in Xinjiang könnte eine neue Personalie in Washington sein. Erst vor wenigen Wochen hat die Trump-Regierung die Harvard-Absolventin Elnigar Iltebir in den Nationalen Sicherheitsrat befördert.

Iltebir ist die Tochter eines prominenten uigurischen Intellektuellen und soll sich um China-Angelegenheiten kümmern. „Damit wird es sehr viel wahrscheinlicher, dass es Verhandlungen zur Uiguren-Thematik mit der chinesischen Regierung geben wird“, sagte Francisco Bencosme von Amnesty International zu „Foreign Policy“.

Peking dürfte die Personalie als weitere Provokation auffassen. Die chinesische Botschaft in Washington twitterte, die USA nutzten „erfundene Vorwände für ihre Einmischung“. Die Maßnahmen in Xinjiang zielten darauf ab, „den Nährboden für Extremismus und Terrorismus zu beseitigen“. Dies stehe im Einklang mit chinesischen Gesetzen sowie internationalen Praktiken und werde von „allen 25 Millionen Menschen verschiedener ethnischer Gruppen in Xinjiang unterstützt“.

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