Technik frisst Freiheit

Technik frisst Freiheit

Frankfurter Rundschau, 25.10.2020

Unten ein Artikel aus der Frankfurter Rundschau, Foto Robert.

Gesichtserkennung kann zum Mittel der Unterdrückung werden. Europa muss den Export der Software endlich regulieren. Der Gastbeitrag von Margarete Bause und Kai Gehring.

Willkürliche Festnahmen, Überwachung, Internierung und Zwangsarbeit: Trotz unzähliger Berichte über schwerste Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang liefern europäische Firmen laut Recherchen von Amnesty International Überwachungstechnologie nach China. Insbesondere Software, die zur Gesichts-, Verhaltens- und Emotionserkennung genutzt werden kann, steht im Verdacht, entscheidend zur Repression der Uigurinnen und Uiguren beizutragen. Dass dies überhaupt möglich ist, liegt auch an Deutschland, denn die Verhandlungen zur Reform der EU-Dual-Use-Verordnung, die den Export von Überwachungstechnologie regulieren soll, stocken seit Jahren.

Die Digitalisierung ermöglicht es, die informationstechnische Kommunikation jedes Einzelnen automatisiert zu erfassen und auszuwerten. Gerade autoritäre Regierungen nutzen diese Möglichkeit, um die grundlegenden Rechte der Bevölkerung zu beschneiden. Insbesondere Oppositionelle, Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen werden gezielt überwacht und verfolgt.

Diese Repression droht nun eine neue Quantität und Qualität zu erreichen, denn immer mehr Staaten setzen automatisierte und identifizierende Gesichtserkennungstechnologie anlasslos ein. Damit schließen sie den für Demokratien und Zivilgesellschaften oftmals letzten nicht überwachten Ort: den öffentlichen Raum.

Die verwendete Technik kommt auch aus Europa. Firmen rüsten Regierungen, die vernichtende Menschenrechtsbilanzen haben, mit modernster Technologie aus, um die Zivilgesellschaft noch effektiver zu überwachen und zu drangsalieren.

Dabei wissen wir, dass vollständige Überwachung zu Selbstzensur führt und Menschen in ihrer Meinungs- und Versammlungsfreiheit einschränkt. Nur wer sich grundsätzlich sicher fühlt, kann frei kommunizieren, sich eine Meinung bilden und diese angstfrei äußern.

Zwar gibt es legitime Ziele der Verbrechensbekämpfung, die auch mit Mitteln der Gesichtserkennung erreicht werden können. Tatsächlich findet sie jedoch häufig ohne rechtsstaatlichen Rahmen und ohne individualisiert begründeten Verdacht statt.

Die Unzulässigkeit von Massenüberwachung ist in EU-Staaten vielfach gerichtlich festgestellt worden. Sie verletzt in ihrer unverhältnismäßigen Form das Recht auf Privatsphäre. Solchen missbräuchlichen Nutzungen müssen wir uns in unseren demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaften klar entgegenstellen.

Obwohl Menschenrechtsorganisationen und IT-Unternehmen seit Jahren vor den Folgen des unregulierten Einsatzes dieser Technologie warnen, trifft den Gesetzgeber deren Anwendung nahezu gänzlich unvorbereitet. Gerade da die Technologie immer präziser und billiger wird, wachsen auch deren Potenziale und Einsatzgebiete. Neben der Identifizierung von Personen wird sie zunehmend zur automatisierten Verhaltensanalyse genutzt. Gleichzeitig verläuft ihre Ausbreitung in einem internationalen Regulierungsvakuum – und das, obwohl es durchaus Möglichkeiten gibt, der elementaren Gefährdung unserer Freiheit etwas entgegenzusetzen.

Auf nationaler Ebene fordern wir Grüne, den Einsatz von biometrischer Gesichtserkennung gesetzlich zu untersagen. Auf europäischer Ebene braucht es dringend Exportkontrollen, doch die EU-Dual-Use-Verordnung erwähnt in ihrer jetzigen Form biometrische Überwachungs- und Identifizierungstechnologie nicht einmal. Gesichtserkennungstechnologie kann ohne Berücksichtigung von Menschenrechtsverletzungen nach China exportiert werden.

Wenn die seit 2016 andauernden Reformverhandlungen noch gelingen sollen, muss Deutschland klarer und deutlicher formulieren, was es will. Unverzichtbar sind eine menschenrechtliche Schutzklausel und effektive Exportkontrollen, damit solche Regelungen auch praktisch kontrolliert und umgesetzt werden. Ein weiterer Hebel ist es, bei der öffentlichen Beschaffung nur mit solchen Firmen zusammenzuarbeiten, die nicht an Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind.

Bis all dies gelingt, sollten wir auf Menschenrechtsorganisationen und den UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Meinungsfreiheit hören, die ein weltweites Moratorium für den Einsatz, die Entwicklung, den Export und den Vertrieb von Gesichtserkennungssoftware fordern, bis gesetzliche Regelungen vorliegen. Die Alternative dazu ist eine Welt, in der es keinen Freiraum mehr gibt. Eine Welt, in der umfassende und universelle Überwachung Alltag ist. Eine Welt, die schneller Realität werden könnte, als uns lieb ist.

Margarete Bause ist Sprecherin für Menschenrechte und humanitäre Hilfe der Grünen-Bundestagsfraktion.

Kai Gehring (Grüne) gehört dem Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe an.