Offener Brief an Herrn Markus Löning

Beauftragter der Bundesregierung
für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe
Auswärtiges Amt
11013 Berlin
Tel.: 030-5000-4765 
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München, 26. Juli 2010

Sehr geehrter Herr Löning,

anlässlich der diese Woche anstehenden sechsten Runde des deutsch-chinesischen Menschenrechtsdialogs in Berlin, möchten wir Sie gerne im Namen des in München ansässigen Weltkongresses der Uiguren (WUC) und seiner Präsidentin Rebiya Kadeer auf die systematischen Menschenrechtsverletzungen der uigurischen Bevölkerung im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang oder XUAR (Ostturkestan) aufmerksam machen.

Ihre Aussage im Tagesspiegel vom 24.07.2010 (http://www.presseportal.de/pm/2790/1653589/der_tagesspiegel), China hätte große Fortschritte im Bereich der Menschenrechte gemacht, erscheint uns angesichts der anhaltenden Menschenrechtsverletzungen von Minderheiten wie den Uiguren oder Tibetern, beinahe zynisch. Wie Sie wissen, leiden die Uiguren seit Jahrzehnten unter einer starken kulturellen, religiösen, politischen und sozialen Unterdrückung durch die chinesische Regierung – trotz der Verankerung des Autonomiestatus von Xinjiang in der chinesischen Verfassung, welcher den Uiguren entsprechende kulturelle, politische und religiöse Rechte zuspricht.

Erst einen Tag vor Ihrem Statement, am Freitag, den 23.07.2010, wurde der uigurische Journalist und Blogger Gheyret Niyaz mit der Begründung, die „Staatssicherheit gefährdet zu haben“, in Ürümqi (Hauptstadt der Uigurischen Autonomen Region) zu 15 Jahren Haft verurteilt. Das „Verbrechen“ von Herrn Niyaz bestand darin, ausländischen Medien Interviews über die extrem kritische Situation der Uiguren, welche er als Ursache für die Unruhen im vergangenen Jahr (Juli 2009) in Ürümqi sieht, zu geben. Herr Niyaz machte friedlichen Gebrauch von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung. Die „Gefährdung der Staatssicherheit“ als Anklagegrund wird von der chinesischen Regierung systematisch als Vorwand benutzt, um die friedliche Ausübung der Menschenrechte der Uiguren zu kriminalisieren. Somit ist seine Verurteilung ein weiterer trauriger Fall einer willkürlichen Festnahme, der v.a. politische Gründe zugrunde liegen, und eine Fortsetzung der Verfolgung von uigurischen Journalisten, Schriftstellern und Bloggern. Gerade in den Monaten nach den Unruhen in Ürümqi im Juli 2009, wurden mehrere uigurische Journalisten ebenfalls zu langen Gefängnisstrafen verurteilt, so z.B. Gulmire Imin, der regelmäßig für die Webseite Salkin schrieb und im April 2010 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Noch schlimmer erging es Dilshat Parhat (Editor und Mitbegründer der uigurischen Webseite Diyarim) welcher im Juli 2009 verhaftet wurde und seitdem verschwunden ist. Auch Ilham Tohti, ein bekannter uigurischer Akademiker und Gründer und Editor von uyghurbiz.net, wurde im Juli 2009 verhaftet und sechs Wochen lang ohne jegliche Kontaktmöglichkeit nach Aussen festgehalten. Auch nach seiner Freilassung wird er immer wieder von den chinesischen Behörden unter Druck gesetzt. Die Liste der verhafteten uigurischen Journalisten ist lang und ausführliche Informationen zu diesen Fällen, speziell zu Gheyret Niyaz, können der Pressemitteilung vom 24. Juli 2010 (http://www.uyghurcongress.org/?p=3468) des Weltkongresses der Uiguren entnommen werden.

Doch nicht nur im Bereich der freien Meinungsäußerung oder Pressefreiheit liegt es für die Uiguren nach wie vor im Argen.  Erst vor drei Wochen, am 5.Juli 2010, jährten sich zum ersten Mal die Unruhen in Ürümqi, bei denen mindestens 197 Personen ums Leben kamen, als chinesischen Sicherheitskräfte brutal einen friedlichen Protest von Uiguren niederschlugen. In den darauffolgenden Tagen wurden Tausende festgenommen und etliche Personen verschwanden. Bis heute haben die chinesischen Behörden keine unabhängige Untersuchung dieser tragischen Ereignisse zugelassen. Stattdessen wurden Personen, welchen die Teilnahme an den Protesten vorgeworfen wird, unfairen Gerichtsverhandlungen unterzogen.  Bislang wurden 33 Uiguren zum Tode verurteilt, davon mindestens neun bereits hingerichtet. Diesen schrecklichen Ereignissen folgte außerdem die heftigste und repressivste Informationsblockade gegen die Uiguren, welche je von chinesischen Behörden auferlegt wurde. Die Uigurische Autonome Region wurde zehn Monate lang hermetisch von der Außenwelt abgeschnitten. Augenzeugen der Unruhen berichteten Medien und internationalen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, dass die chinesischen Sicherheitskräfte außerdem in den Tagen nach den Unruhen außergerichtliche Tötungen von Demonstranten begingen. Hinzu kommt die kulturelle und religiöse Unterdrückung der Uiguren, sowie die Zwangsumsiedlung von und nach Ostturkestan, sowie die systematische Verfolgung von uigurischen Menschenrechtlerin im Ausland.

In weltweiten Protestaktionen anlässlich des ersten Jahrestages forderten der Weltkongress der Uiguren und seine Mitgliederorganisationen nachdrücklich Aktionen von Seiten der chinesischen Regierung, der UNO, der EU und der deutschen Regierung, um eine Verbesserung der Menschenrechtslage in der Autonomen Uigurischen Region zu erzielen. Eine internationale unabhängige Untersuchung der Ereignisse vom 5 Juli 2009 ist dafür der erste Schritt. Die Aktionen rund um den Globus müssen auch als Aufforderung an die chinesischen Behörden verstanden werden, einen ernstgemeinten Dialog mit den Führern der uigurischen Gemeinschaft über die Situation in der Autonomen Uigurischen Region zu starten. Der WUC sowie seine Mitgliederverbände, haben wiederholt betont, dass staatliche Gewalt als politisches Instrument in eine Sackgasse in der Beziehung zwischen Han Chinesen und Uiguren führt und dass nur durch einen ehrlichen Dialog Frieden in der Region erreicht werden kann. Auch Frau Rebiya Kadeer hat die chinesische Regierung in mehreren Anlässen zu einem Dialog mit ihr und anderen uigurischen Vertretern aufgefordert, u.a. bei einem Besuch im Europäischen Parlament in Brüssel im September 2009 und ein zweites Mal im April 2010.

Angesichts der beschriebenen Menschenrechtsverletzungen in der Uigurischen Autonomen Region, unter welcher neun Millionen Uiguren tagtäglich leiden, erscheinen uns positive Aussagen bez.  der Fortschritte Chinas im Bereich der Menschenrechte etwas unglücklich. Solange Millionen von Menschen in einem Land unterdrückt werden und gegenüber der chinesischen Mehrheit nicht gleichberechtigt sind, müssen die Forderungen an die chinesische Regierung, diese Situation zu verbessern, aufrechterhalten werden.

Daher bitten wir Sie als Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung in Ihren Gesprächen mit der chinesischen Regierung und ihren Vertretern unbedingt die verheerende Menschenrechtslage der Uiguren anzusprechen und dabei besonders auf folgende Punkte aufmerksam zu machen:

•    Die Respektierung der Pressefreiheit und freien Meinungsäußerung für alle Bürger in China
•    Die Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung der tragischen Ereignisse vom 5. Juli 2009.
•    Die Abschaffung von Hinrichtungen von politischen Gefangenen.
•    Die Gewährleistung von fairen Gerichtsverhandlungen für die in die Ürümqi-Proteste verwickelten Personen.
•    Der Beginn eines Dialoges mit Vertretern des uigurischen Volkes über die Lage im Uigurischen Autonomen Gebiet.

Deutschland, als westeuropäisches demokratisches Land, in welchem der Schutz der Menschenrechte groß geschrieben wird,  sollte sich auch außerhalb seiner Grenzen für diese Prinzipien einsetzen. Als Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung kommt Ihnen dabei eine besonders wichtige Rolle zu. Eine friedliche Beilegung des Konfliktes in Ostturkestan muss in den deutsch-chinesischen Beziehungen trotz aller wirtschaftlichen Interessen an erster Stelle stehen. Nur so kann eine ehrliche Partnerschaft zwischen beiden Ländern bestehen.

Wir bedanken uns vielmals für Ihre Aufmerksamkeit bezüglich dieser dringlichen Angelegenheit.

Hochachtungsvoll,

Asgar Can

Vize-Präsident für Europa