Niederländer stufen die Misshandlung der Uiguren als Genozid ein – und setzen damit Berlin unter Druck

Niederländer stufen die Misshandlung der Uiguren als Genozid ein – und setzen damit Berlin unter Druck

Handelsblatt, 27.02.2021

Unten ein Artikel aus der Handelsblatt, Foto DPA.

Aus Sicht der chinesischen Regierung ist es eine schwere Provokation, für Menschenrechtsorganisationen eine längst überfällige Erklärung: Das niederländische Parlament hat die Unterdrückung der Uiguren in China als Genozid eingestuft, als erste Volksvertretung innerhalb der Europäischen Union (EU). 

Damit gewinnt eine Debatte an Dynamik, die enormes Konfliktpotenzial birgt – und gerade für die deutsche Wirtschaft gravierende Folgen haben könnte. Der Druck auf den Bundestag, sich ebenfalls in der Uiguren-Debatte zu positionieren, steigt. Und damit auch die Gefahr von Gegenmaßnahmen der Chinesen.

International stehen die Niederlande nicht allein. Das kanadische Parlament hatte erst vor ein paar Tagen einen Antrag angenommen, der die politische Verfolgung der Uiguren als Völkermord bezeichnet. Und in den USA hat sich der neue Außenminister Antony Blinken der Haltung der Vorgängerregierung angeschlossen und Chinas Umgang mit der muslimischen Minderheit in der Provinz Xinjiang als Genozid verurteilt.

So weit will die Bundesregierung nicht gehen, gerade Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist sehr darauf bedacht, die Machthaber in Peking nicht zu verärgern. Allerdings scheut sich das Auswärtige Amt nicht, scharfe Kritik an China üben. „Die Berichte zur Behandlung der uigurischen Bevölkerung und anderer Gruppen in Xinjiang sind entsetzlich“, sagte Bärbel Kofler (SPD), Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, dem Handelsblatt. Sie sei über die Lage „zutiefst beunruhigt“. 

China wird vorgeworfen, die Uiguren systematisch zu misshandeln. Die Menschen werden unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung gegen ihren Willen monate- und oft jahrelang in Lager gesteckt, die die chinesische Regierung als „Berufsbildungszentren“ bezeichnet. In ihrem jüngsten Menschenrechtsbericht hatte die Bundesregierung „die Ausweitung von Repression, Überwachung und Masseninternierungen“ in Xinjiang herausgestellt. Menschenrechtsaktivisten berichten von systematischen Vergewaltigungen und Zwangsarbeit. China, so lautet der Vorwurf, arbeite gezielt auf die Dezimierung der Volksgruppe hin, etwa durch Zwangsterilisationen.  

„Deutschland und die EU fordern China deshalb nachdrücklich und regelmäßig auf, diese menschenunwürdige Behandlung zu beenden“, stellte Kofler klar. Das Wort Genozid allerdings vermied sie. Ähnliche Reaktionen kommen aus den Regierungsfraktionen. Auch hier versucht man, der Völkermorddebatte auszuweichen, das Vorgehen der Chinesen zugleich aber klar zu verdammen.

„Ich tue mich schwer, die Frage eindeutig zu beantworten, da uns China Informationen verweigert“, sagte Metin Hakverdi, China-Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion. „Der Verstoß gegen die Menschenrechte in Xinjiang durch die chinesische Regierung hat aber in jedem Fall eine besondere Qualität. Das Ziel des Regimes ist es, die Identität einer Volksgruppe durch technologische Totalkontrolle zu zerstören.“

Opposition fordert klare Positionierung

Der Opposition ist das zu wenig. „Die Auseinandersetzung mit der Frage, ob in Xinjiang ein Völkermord an den Uiguren verübt wird, muss in Parlamenten und Regierungen unverzüglich beginnen. Auch in Deutschland“, forderte die FDP-Politikerin Gyde Jensen, Vorsitzende des Menschenrechtsauschusses des Bundestags. „Insbesondere vor dem Hintergrund der sehr glaubhaft dokumentierten systematischen Zwangssterilisationen und Zwangsabtreibungen“ sei es nachvollziehbar, dass die Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren als Genozid bezeichnet würden.  

Die Kommunistische Partei Chinas sei nun in der Bringschuld, die Vorwürfe glaubhaft zu entkräften. Jensen spricht sich dafür aus, dass die EU mit „personenbezogenen Sanktionen gegen die Verantwortlichen für die schweren Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang“ ein Zeichen setzt.

Die chinesische Regierung bezeichnet die Vorwürfe als Lügen und verbittet sich Kritik. Auf der Webseite der chinesischen Botschaft in den Niederlanden wurde am Freitag ein Sprecher mit folgenden Worten zitiert: „Unter völliger Missachtung von Fakten und gesundem Menschenverstand hat der vom niederländischen Repräsentantenhaus verabschiedete Antrag in Bezug auf Xinjiang China absichtlich verleumdet und sich grob in die inneren Angelegenheiten Chinas eingemischt“, hieß es darin. Die chinesische Seite verurteile dies aufs Schärfste.  

Reinhard Bütikofer, chinapolitischer Sprecher im Europäischen Parlament, begrüßte die Entscheidung aus Den Haag dagegen. „Es ist erfreulich, dass das niederländische Parlament jetzt auch das Wort ergreift“, sagte der Grünenpolitiker. „Andere nationale Parlamente sollten folgen. Praktisch geht es insbesondere darum, Druck zu machen, um die ausbeutende Komplizenschaft europäischer Unternehmen zu beenden, die sich aus der Verwicklung in uigurische Zwangsarbeit ergibt.“ 

BASF und VW haben Werke in der Heimatregion der Uiguren

Das EU-Parlament hatte erst im Dezember mit breiter Mehrheit eine Resolution verabschiedet, in der die Unterdrückung der Uiguren als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewertet wird. Für die deutsche Wirtschaft ist die Debatte ausgesprochen heikel. Mit BASF und VW betreiben zwei Dax-Konzerne Fabriken in Xinjiang, der Heimatregion der Uiguren im Osten Chinas. VW-Chef Herbert Diess hatte zuletzt Kritik auf sich gezogen, weil er behauptet hatte, dass sich „China in die richtige Richtung bewegt“, wenngleich er einräumte, dass die Demokratie dort „nicht vorankommt“.

Die Europäischen Union verlangt schon seit Langem, umfassenden Zugang zu den Lagern in Xinjiang zu bekommen. Eine Position, die die deutsche Menschenrechtsbeauftragte Kofler jetzt erneut unterstrich: „Wir fordern China auf, ungehinderten Zugang für unabhängige Beobachter zu ermöglichen.“