Ein Schweizer Startup fliegt aus Apples App-Store in China

Ein Schweizer Startup fliegt aus Apples App-Store in China

NZZ, 09.10.2020

Unten ein Artikel aus der NZZ, Foto Thomas Peter / Reuters.

Es hat auf Dominik Grolimund ziemlich Eindruck gemacht, als der App-Entwickler Anfang Oktober von Apple eine Nachricht erhielt. «Hallo», beginnt das Schreiben ganz formlos, und dann folgt ein Bandwurmsatz, der es in sich hat: «Wir schreiben, um Ihnen mitzuteilen, dass Ihre Applikation vom App-Store in China entfernt wird, weil sie Inhalte enthält, die in China illegal sind, wie von der CAC (Cyberspace Administration of China) bestimmt, was nicht in Übereinstimmung ist mit den App Store Review Guidelines.» Am Freitag war die App in China zwar herunterladbar, aber sie liess sich nicht öffnen.

Grolimund hat vor bald fünf Jahren die App Refind lanciert. Das ist ein Journalismus-Aggregator, der seine Nutzer auf besonders lesenswerte Hintergrundstücke aufmerksam machen soll, angepasst an individuelle Themeninteressen. Jahrelang bekam Grolimund höchstens Nachrichten von Apple, wenn der Konzern Kleinigkeiten an seiner App zu bemängeln hatte. Einmal etwa, so erzählt Grolimund, wurde er aufgefordert, einen Hinweis auf Google Play zu entfernen. Refind gibt es nämlich auch beim Apple-Konkurrenten als Android-Version.

Und jetzt also das Verbot. Warum genau die App in China gesperrt wurde, weiss Grolimund nicht. In der Nachricht von Apple heisst es nur allgemein, es sei seine Verantwortung sicherzustellen, dass seine App den Gesetzen aller Orte entspreche, an denen sie verfügbar sei. Für mehr Informationen könne er die Cyberspace-Administration of China direkt kontaktieren. Bei Apple direkt nachfragen kann Grolimund nach eigener Aussage nicht mehr, weil seine App inzwischen aktualisiert worden und die mit der vorherigen Version verknüpfte Nachricht somit nicht mehr aufrufbar sei.

App-Entwickler hat Verdacht

Eine starke Vermutung aber hat Grolimund: Im September war ein Peking-kritischer Artikel auf Refind populär. Darin zeigte die Website «Buzzfeed News» auch anhand von Satellitenbildern auf, dass das Regime in der Provinz Xinjiang mutmasslich 268 Lagerkomplexe neu gebaut hat, um die muslimische Minderheit der Uiguren zu unterdrücken. Die Recherche wurde weltweit viel gelesen. Die chinesische Parteizeitung «Global Times» und die chinesische Botschaft in den USA wiesen die Vorwürfe scharf zurück.

Die Vermutung liegt nahe, dass Apple alle in China verfügbaren Apps auf den entsprechenden Artikel durchforstet hat – auf Betreiben der Cyberspace-Behörde oder in vorauseilendem Gehorsam. Dafür spricht auch, dass populäre Schweizer News-Apps wie die der NZZ, von SRF oder «20 Minuten» im App-Store in China weiterhin herunterladbar sind; nutzen kann man sie aber nur mit einer VPN-Verbindung, welche die chinesische Zensur umgeht. Diese Medien berichten selbstredend auch regelmässig über Menschenrechtsverletzungen in China wie jene gegenüber den Uiguren.

Apple war für eine NZZ-Anfrage am Freitag zunächst nicht erreichbar – eine Apple-Vertreterin in der Schweiz konnte am Telefon auch nach längeren Nachforschungen keinen Pressekontakt nennen, eine PR-Vertreterin von Apple Europa antwortete zunächst nicht.

Der amerikanische Konzern pflegte im Vergleich zu anderen westlichen Tech-Firmen lange ein recht gutes Verhältnis mit China. Seinen App-Store betreibt er ohne lokale Partner oder spezielle Lizenzen der Regierung, wie das sonst in China üblich ist. Zu Hochzeiten 2015 machte Apple ein Viertel seines weltweiten Umsatzes in der Region Greater China (China, Hongkong, Macau, Taiwan). Derzeit ist rund jedes fünfte Smartphone in China von Apple. Die Regierung in Peking war offensichtlich froh um die vielen Jobs beim taiwanischen Apple-Zulieferer Foxconn, der in China produziert, und um die Steuermilliarden.

Apple gerät in den Konflikt China – USA

Doch nun dürfte auch Apple unter dem Wettstreit zwischen Washington und Peking um die weltweite Technologie-Vorherrschaft leiden. Das amerikanische Tech-Portal «The Information» berichtete im August gestützt auf anonyme Quellen, dass Apple in China zunehmend unter Druck stehe.

Klare Anzeichen dafür sind gut sichtbar: Am 1. August entfernte Apple in China fast 30 000 Spiele aus seinem App-Store, weil sie keine Lizenz der Regierung hatten. Zuvor hatte Apple darüber lange hinweggesehen. Im Frühjahr wurde bekannt, dass Apple erwägt, ein Fünftel seiner Produktionskapazität aus China nach Indien zu verlagern. Und im Oktober 2019 hatte Apple die bei Demokratie-Aktivisten in Hongkong beliebte Karten-App Hkmap.live gesperrt.

Es ist also gut möglich, dass einmal mehr die grosse Weltpolitik spürbar ist bis in die Schweiz, bis zu einem kleinen Startup aus Pfäffikon am Zürichsee.