Buzzfeed-Recherchen decken Fabrikgebäude in Chinas Internierungslagern auf – „Zwangsarbeit wahrscheinlich“

Buzzfeed-Recherchen decken Fabrikgebäude in Chinas Internierungslagern auf – „Zwangsarbeit wahrscheinlich“ TOPSHOT – This photo taken on May 31, 2019 shows a watchtower on a high-security facility near what is believed to be a re-education camp where mostly Muslim ethnic minorities are detained, on the outskirts of Hotan, in China’s northwestern Xinjiang region. – As many as one million ethnic Uighurs and other mostly Muslim minorities are believed to be held in a network of internment camps in Xinjiang, but China has not given any figures and describes the facilities as „vocational education centres“ aimed at steering people away from extremism. (Photo by GREG BAKER / AFP) / TO GO WITH AFP STORY CHINA-XINJIANG-MEDIA-RIGHTS-PRESS,FOCUS BY EVA XIAO (Photo credit should read GREG BAKER/AFP via Getty Images)

Deutschlandfunk, 29.12.2020

Unten ein Artikel aus dem Deutschlandfunk, Foto AFP.

Für ihre vierteilige Recherche, die seit August läuft, haben die Journalisten eine Vielzahl von Satellitenbildern ausgewertet. Im jetzt veröffentlichten vierten Teil stützen sie sich auch auf Interviews mit ehemaligen Insassen. Im Rahmen der Recherchen dokumentierte Buzzfeed hunderte von Einrichtungen, in denen Angehörige von muslimischen Minderheiten wie den Uiguren und Kasachen festgehalten werden. Mindestens 135 Einrichtungen verfügen über Fabrikgebäude.

Rasante Expansion der Internierungslager

Die Expansion der Anlagen verläuft rasant: Allein im Jahr 2018 seien Gebäude auf einer Fläche von rund 18 Millionen Quadratmetern errichtet worden. Ehemalige Inhaftierte hätten davon berichtet, dass sie in den Fabrikanlagen arbeiten mussten. Auf die Frage, ob sie dafür entlohnt worden seien, hätten sie nur gelacht.

Alle Fabrikanlagen in Xinjiang wiesen ähnliche Merkmale auf, heißt es bei Buzzfeed. Sie seien typischerweise lang und rechteckig und ihre Metalldächer in der Regel hell gefärbt – oft blau, manchmal rot. Im Gegensatz zu typischen Haftgebäuden wiesen die Fabriken Stahlrahmen auf, die sich schnell errichten ließen. Der Stahlrahmen sei stabil genug, um das Dach ohne Innenstützen zu halten. Auf diese Weise sei im Inneren mehr Platz für große Maschinen oder Fließbänder.

Kreative Recherche mit Kartenmaterial

Bereits im Sommer hatte Buzzfeed die Existenz hunderter chinesischer Lager aufgedeckt. China hält die Informationen zu seinem Internierungsprogramm fest unter Verschluss. Es wurde bislang die Existenz von rund 1.200 Lagern für Uiguren in China vermutet, bekannt waren bis zu den Recherchen von Buzzfeed jedoch nur wenige Standorte.

China bestreitet kategorisch, dass es sich um Internierungslager handelt. Vielmehr seien die Einrichtungen Bildungs- und Trainingszentren, die auch der Bekämpfung von Terrorismus dienten.

Für die Entdeckung der Lager griffen die Journalisten auch auf Kartenmaterial zurück. So berichteten sie, dass sie zunächst ein bereits bekanntes Lager auf dem chinesischen Kartendienst Baidu Maps untersucht hätten. Dabei sei ihnen aufgefallen, dass bei einer gewissen Vergrößerung eine blanke Kachel über dem Gebiet zu sehen war. Zoomte man näher hinein oder hinaus, verschwand die auffällige Fläche. Offenbar handelte es sich um Zensur-Kacheln. Die Journalisten machten in der uigurischen Region Xinjiang über fünf Millionen von ihnen ausfindig.

Strategische Areale unter „Zensurkacheln“

Es zeigte sich, dass unter den Kacheln strategische Areale lagen. Das habe ein Vergleich mit aktuellem Kartenmaterial von Google Earth, der Europäischen Weltraumorganisation und Planet Labs erkennbar gemacht. Sie fanden Militärbasen, Minen, Kraftwerke und Gefängnisse, darunter auch die bereits bekannten Internierungslager.

Die Journalisten konzentrierten sich auf zensierte Orte und suchten sich passende Rahmenbedingungen. Hierzu zählten etwa die Nähe zu einer Stadt und einer Hauptstraße. Übrig blieben rund 50.000 Areale, die dann weiter abgeglichen wurden. Schließlich ergaben die Recherchen hunderte Internierungslager, von denen einige bis zu 10.000 Menschen fassen können.

Zuletzt hatte die US-Denkfabrik Center for Global Policy über Zwangsarbeit auf Baumwollfeldern in Xinjiang berichtet. Sie berief sich dabei auf US-Regierungsangaben. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen und Forschern sind in Xinjiang mindestens eine Million Uiguren und andere Muslime in Lagern eingesperrt.

Abgeordnete, Mitarbeiter und Besucher werden in Zeiten der Coronapandemie nur nach einem Blick in die Kamera eingelassen. Vor dem Eintritt ins Europäische Parlament messen die Geräte die Körpertemperatur, damit niemand das Coronavirus einschleppt. Die Prozedur ist schnell und schmerzfrei. Dass sich das Europäische Parlament die Geräte bei einem umstrittenen chinesischen Anbieter beschaffte, der mit massiven Menschenrechtsverletzungen in China in Verbindung gebracht wird, ist mehr als nur schlechter Stil. Der Fall zeigt die Schwächen der Beschaffungspolitik einer Institution, die regelmäßig Menschenrechtsverstöße in aller Welt anprangert.

Wie jetzt bekannt wurde, hat das Europäische Parlament Wärmekameras im Wert von insgesamt 350.000 Euro geordert. Dies geht aus einem Brief von Parlaments-Präsident David Sassoli an die Europa-Abgeordnete Svenja Hahn (FDP) hervor, welcher der WirtschaftsWoche vorliegt. „Die Anschaffung der Wärmekameras und -scanner war im Mai extrem dringend“, schreibt Sassoli.

Wegen des Zeitdrucks griff die Parlaments-Verwaltung auf einen bestehenden Vertrag mit der belgischen Tochter des französischen Versorgungsunternehmens Veolia zurück. Dieses wiederum orderte über Subunternehmen die Kameras bei Hikvision. Das Unternehmen, das sich zu über 40 Prozent im Besitz des chinesischen Staats befindet, bezeichnet sich selbst als Weltmarktführer für Videoüberwachung und steht mit der Verfolgung und Überwachung von Uiguren in Verbindung. Dem Ethikrats des staatlichen norwegischen Pensionsfonds zufolge hat Hikvision alleine im Jahr 2017 fünf Aufträge zur Überwachung von Uiguren in der Provinz Xinjiang im Wert von 1,86 Milliarden Yuan (umgerechnet rund 235 Millionen Euro) erhalten. Die USA haben das Unternehmen wegen Menschenrechtsverletzungen bereits 2019 auf die schwarze Liste gesetzt. US-Unternehmen und Behörden dürfen mit Hikvision keine Geschäfte treiben und das chinesische Unternehmen darf keine US-Produkte erwerben. 2016 noch hatte die US-Botschaft in Kabul Überwachungskameras von Hikvision eingesetzt, die wenige Monate später entfernt wurden.

Der Brief des Parlamentspräsidenten zeigt für die Europa-Abegordnete Hahn, dass es im Europäischen Parlament „keine Standards gibt, mit denen der menschenrechtliche Fußabdruck von Unternehmen effektiv überprüft wird“. Auf Verträge mit Subunternehmen zu verweisen, werde dem Anspruch des Europäischen Parlaments nicht gerecht, die Kämpferin für Demokratie und europäische Werte zu sein.

Erst in der Woche vor Weihnachten hatten die Europa-Abgeordneten mit einer überwältigen Mehrheit für eine Resolution gestimmt, in der die Menschenrechtsverletzungen gegen Uiguren und andere Minderheiten in der Provinz Xinjang scharf verurteilt wurden. Schätzungsweise eine Millionen Menschen befinden sich dort in staatlichen Internierungslagern. Alleine zwischen Juli 2019 und Juli 2020 sollen 61 neue Camps entstanden sein. Die Massenüberwachung per Videokamera gehört der Resolution zufolge zur staatlichen Unterdrückungspolitik von Minderheiten.

Die Europa-Abgeordnete Hahn fordert, die Hikvision-Produkte im Europäischen Parlament umgehend zu ersetzen und die Vergabeverfahren zu überarbeiten. „Die EU braucht eine schwarze Liste für Produkte, die durch Menschenrechtsverletzungen hergestellt wurden, sowie für Produkte, deren Hersteller nachweislich an solchen beteilig sind.“