Unterdrückung ohne Konsequenzen

Unterdrückung ohne Konsequenzen

tagesschau.de, 23.11.2020

Unten ein Artikel aus tagesschau.de, Foto AP.

Ein Jahr nachdem Journalistinnen und Journalisten aus aller Welt massive Menschenrechtsverstöße in China aufgedeckt haben, ist die Bundesregierung in ihren Aufklärungsbemühungen nicht wesentlich vorangekommen. Eine ursprünglich angekündigte, unabhängige Beobachter-Mission, die sich vor Ort ein Bild der Menschenrechtslage machen sollte, hat es nicht gegeben. Sanktionen wurden seither auch nicht verhängt.

Vor rund einem Jahr publizierten zahlreiche Medien gemeinsam die „China Cables“ – Unterlagen aus dem Inneren des chinesischen Staatsapparats, die belegen, wie die kommunistische Partei in der Autonomieregion Xinjiang einen riesigen Unterdrückungsapparat etabliert hat und die Rechte der dort lebenden muslimischen Minderheit stark einschränkt. 

 Die Dokumente belegen unter anderem, dass in von der Regierung als freiwillige Weiterbildungseinrichtungen bezeichneten Lagern tatsächlich Insassen gegen ihren Willen gefangen gehalten und psychisch manipuliert werden. In Deutschland waren an der Recherche NDR, WDR und „Süddeutsche Zeitung“ beteiligt.

In einem Lagebericht vom Dezember 2019 bestätigte das Auswärtige Amt die Berichte indirekt, indem es schrieb, dass man Erkenntnisse habe über:

„lückenlose digitale Kontrolle und Überwachungsmaßnahmen, willkürliche Verhaftungen, Sippenhaft, massive Einschränkungen der Religionsausübung, Masseninternierungen von wahrscheinlich über 1 Mio. Menschen, DNA-Erfassungen, ideologische Indoktrinierung“. 

„Lage nicht verbessert“

Das Auswärtige Amt beantwortete konkrete Fragen zur aktuellen Situation in Xinjiang und der deutschen Position dazu nicht. Allgemein hieß es aus dem Ministerium, die Lage in Xinjiang habe sich aus Sicht der Bundesregierung seit 2019 nicht verbessert. Die Bundesregierung beobachte die Menschenrechtslage fortlaufend mit großer Sorge und spreche das Thema regelmäßig gegenüber der chinesischen Seite an. Weiter hieß es, dass die Botschafter der EU-Staaten sich um eine Reise nach Xinjiang bemühten. Bislang scheitere es aber am Widerstand Chinas, für offene Zugänge zu Einrichtungen und Institutionen zu sorgen.

Gyde Jensen, FDP-Bundestagsabgeordnete und Leiterin des Ausschusses für Menschenrechte, kritisiert die passive Haltung der Bundesregierung. Sie sei vor allem „mahnender Zaungast“, bemühe sich aber nicht aktiv um eine Verbesserung der Lage. „Peking lässt sich davon nicht beeindrucken, wenn wir hier mahnend auf die Einhaltung von Völkerrecht und Menschenrechten abstellen“, sagte Jensen.

 Außenminister Heiko Maas sagte damals als Reaktion auf die „China Cables“-Berichterstattung, die Menschenrechte seien „nicht verhandelbar und universell gültig“.

Auch auf europäischer Ebene konnten sich die Staaten bislang nicht auf gemeinsame Sanktionen einigen. Im Gegensatz dazu hatten etwa die USA Firmen hart bestraft, die sich direkt oder indirekt an der Unterdrückung der Minderheiten in China beteiligt hatten. Aus Jensens Sicht agiert die Bundesregierung auch hier zu zaghaft. Es gehe um „klare Völkerrechtsbrüche“, das dürfe „uns hier in in Europa, in Deutschland, vor allen Dingen während unserer deutschen Ratspräsidentschaft überhaupt nicht egal sein“. Deutschland hat seit Juli dieses Jahres die EU-Ratspräsidentschaft inne, die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und China sollen einen außenpolitischen Schwerpunkt des deutschen Vorsitzes bilden.

Berichte über neue Internierungslager

Die Chinesische Botschaft in Berlin erklärte auf Anfrage allgemein, über „Xinjiang wurden viele Lügen und Gerüchte verbreitet“. Konkrete Fragen beantwortete die Botschaft nicht, erklärte aber man habe „an die Diplomat*Innen der europäischen Länder (…) Einladungen ausgesprochen“. Infolge der „China Cables“ hatte die Chinesische Regierung die Vorwürfe pauschal dementiert, ohne konkrete Darstellungen zu widerlegen.

Belege dafür, dass sich die Menschenrechtslage in Xinjiang in den vergangenen zwölf Monaten verbessert haben könnte, gibt es keine. Im Gegenteil, im September berichteten US-Medien unter Berufung auf Satellitenbilder und eine Untersuchung des „Australian Strategic Policy Institute“, dass in der Region weitere Internierungslager gebaut und bestehende Lager erweitert worden seien.

 Auch Katja Drinhausen vom Mercator Institut für Chinastudien sagte dem NDR, dass sie davon ausgehe, dass „dieses Lagersystem weiterhin intakt ist“. Gerade durch die Covid-19-Pandemie sei es für China sogar noch leichter möglich gewesen, die Region abzuschotten. Für Wissenschaftler sei es „wahnsinnig schwierig, die Lage vor Ort zu beurteilen“, so Drinhausen.

Eine Anwaltskanzlei mit Sitz in London reichte im Auftrag von Exil-Uiguren eine Beschwerde bei dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ein. Ziel sei es, ein Verfahren wegen Völkermords und Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzustoßen, sagte der zuständige Anwalt Rodney Dixon im Interview mit dem ICIJ.