Spionierte ein BND-Informant für China?
tagesschau, 06.07.2021
Unten ein Artikel von tagesschau, Foto tagesschau.
Klaus L. war gerade erst von einem Aufenthalt in Italien zurückgekehrt, als die Polizei vor seiner Wohnungstür stand und ihn festnahm. Die Bundesanwaltschaft wirft L. vor, für den chinesischen Geheimdienst spioniert zu haben und hat nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios nun Anklage vor dem Oberlandesgericht München wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit erhoben.
Auf dem Weg nach Macau
Der Fall ist kompliziert: L. spionierte nämlich nicht nur für die Chinesen, sondern jahrzehntelang auch für den deutschen Bundesnachrichtendienst (BND). Das erfuhr das ARD-Hauptstadtstudio aus Sicherheitskreisen. Besonders pikant: L. führte ein Doppelleben. Ein öffentliches als Mitarbeiter der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung sowie ein geheimes als Informant für den BND. Das ARD-Hauptstadtstudio hatte den Fall im Juni des vergangenen Jahres enthüllt, nachdem die Bundesanwaltschaft L.s Haus durchsucht hatte.
Am 23. November 2019 standen die Ermittler bei L. vor der Tür und präsentierten einen Durchsuchungsbeschluss. L. und seine Frau waren gerade auf dem Weg zum Münchner Flughafen. Dass die Ermittler an diesem Morgen zuschlugen, war kein Zufall: Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios wollte das Ehepaar von München weiter nach Macau reisen, um sich dort mit seinen chinesischen Führungsoffizieren zu treffen. Die Ermittler stellen das Haus auf den Kopf, durchsuchten das Gepäck und beschlagnahmten jede Menge Datenträger und Computer.
Dass der mittlerweile 75-Jährige erst jetzt angeklagt wird, macht deutlich, wie schwierig der Fall ist. Denn dass L. für die Chinesen spionierte, soll er den Ermittlern gegenüber gar nicht bestritten haben. Wie das ARD-Hauptstadtstudio erfuhr, behauptete er vielmehr, dem BND von seinen Kontakten zu den Chinesen berichtet zu haben – zumindest anfänglich.
50 Jahre im Dienst des BND
Das Leben von L. war über viele Jahre eng mit dem BND verbunden. Nicht weniger als 50 Jahre wurde L. vom deutschen Auslandsnachrichtendienst als „nachrichtendienstliche Verbindung“ geführt. Das heißt, L. belieferte den BND mit Informationen und wurde dafür bezahlt.
L. ging in Pullach bei München, wo sich bis vor wenigen Jahren die BND-Zentrale befand, ein und aus. Er verfügte über exzellente Kontakte bis in die BND-Führungsebene. Dabei waren für den Dienst die beruflichen Kontakte, die L. im Laufe seines beruflichen Werdegangs knüpfte, offenbar von hohem Wert.
Kontakte durch Stiftungsarbeit
Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios fing L. Anfang der 1980er-Jahre bei der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung an. Sein Job ermöglichte ihm zahlreiche, zum Teil längere dienstliche Aufenthalte im Ausland, mitunter als Gastdozent, zum Beispiel in der früheren Sowjetunion und später in Russland, auf dem Balkan, in Südafrika und in Südasien.
Als L. in Pension ging, leitete er das Referat für internationale Sicherheitspolitik der Stiftung. Nachdem das ARD-Hauptstadtstudio erstmalig über den Fall berichtet hatte, distanzierte sich die Stiftung und betonte, „keinerlei Kenntnis“ von den Vorgängen gehabt zu haben.
Spionage auch noch nach der Pensionierung
Seine Tätigkeit für den BND endete für L. mit seiner Pensionierung jedoch keineswegs. Nach ARD-Recherchen wurde sie vielmehr mit anderen Mitteln fortgesetzt. L. wurde demnach Direktor eines eigens gegründeten „Instituts für transnationale Studien“, einer Art Thinktank, den er sowohl von seinem Haus in Landshut aus betrieb, vor allem aber in einem Anwesen in Südtirol, das auch über Seminarräume verfügte.
Der BND soll bei den Veranstaltungen mit internationalen Referenten immer mit am Tisch gesessen und die Gäste „abgeschöpft“ haben, wie es heißt. Ob es sich bei dem Institut um eine Tarninstitution des Dienstes handelte, will der BND nicht beantworten. Auch sonst will der Dienst keine Angaben dazu machen will, welche Verbindungen L. zum BND unterhielt. Er verweist lediglich darauf, dass er zu operativen Fragen keine Stellung nimmt.
Mitte 2010 kam es nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios zu einem ersten Kontakt mit dem chinesischen Geheimdienst, als L. sich an der Tongji-Universität in Shanghai aufhielt. L. stand damals kurz vor seiner Pensionierung. Den Ermittlern sagte L., er habe dem BND von dem Anwerbeversuch berichtet; der Dienst habe ihn sogar ermutigt, sich darauf einzulassen. Nach dem Motto: mal sehen, was die wollen.
Wusste China von den Verbindungen zum BND?
Mit der Zeit scheint L. von seinen Kontakten zu den Chinesen aber nichts mehr erzählt zu haben. Immerhin statteten ihn seine chinesischen Führungsoffiziere mit Technik aus, um verschlüsselt Informationen zu übermitteln. Welchen Wert das hatte und was L. den Chinesen lieferte, dürfte umstritten und Gegenstand der Verhandlung vor dem Oberlandesgericht München sein.
Ob der chinesische Dienst von L.s Verbindungen zum BND wusste, ist unklar. Er soll jedoch keine BND-Interna verraten haben. Ursprünglich sollen die Chinesen beabsichtigt haben, L. auf den Weltkongress der Uiguren anzusetzen, der seinen Sitz in München hat. Doch darauf soll er sich nicht eingelassen haben.
Dringend tatverdächtig
Außerdem wird es vor Gericht darum gehen, was L. für seine Tätigkeit von den Chinesen erhalten hat. Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios ging es vor allem um Reisekosten sowie um ein einzelnes Honorar. Wie das Gericht den Fall L. bewertet, bleibt abzuwarten.
Die Ermittler taten sich offenbar schwer damit, nachdem L. und seine China-Kontakte dem Bundesamt für Verfassungsschutz aufgefallen waren. Bis zur Anklageerhebung verging zumindest eine Menge Zeit. Dass L. nun in Untersuchungshaft soll, begründen die Ermittler damit, dass er dringend tatverdächtig sei und Fluchtgefahr bestehe.
Ein Netzwerk, das China reizte
In vielerlei Hinsicht ist der Fall exemplarisch für das Vorgehen des chinesischen Geheimdienstes: L. verfügte über ein beachtliches professionelles, internationales Netzwerk, das für die Chinesen zweifelsfrei von Interesse war. Gleichzeitig stand er am Ende seiner beruflichen Laufbahn, war aber noch voller Tatendrang, was Menschen empfänglich für Anwerbeversuche machen kann.
In Sicherheitskreisen heißt es, dass menschliche Quellen in Politik, Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft neben Cyberattacken nach wie vor zum Instrumentarium des chinesischen Geheimdienstes gehören. Oftmals sei den Betroffenen zunächst gar nicht klar, worum es gehe. Und manchmal gehe es auch gar nicht um Geld, sondern viel mehr um Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Bei Klaus L. ging es womöglich auch darum. Außer Frage steht jedoch, dass ihm klar war, mit wem er es zu tun hatte