„NEIN“ zu Chinas staatlichem Organraub: Warum zögert Deutschland? David Matas im Interview
EPOCHTIMES, 27.01.2018
Chinas staatlich betriebener Organraub an lebenden Menschen ist seit 2006 bekannt – trotzdem schaut die Weltgemeinschaft bis auf wenige Ausnahmen bislang tatenlos zu. Menschenrechtsanwalt David Matas spricht im EPOCH TIMES-Interview über die Haltung Deutschlands und die Möglichkeiten, die bestehen, um gegen Chinas Staatsverbrechen vorzugehen.
China ist der zweitgrößte Transplantations-Standort nach den USA, doch ein Organspendesystem nach westlichem Standard existiert dort nicht. Seit 16 Jahren haben dort in 700 Kliniken bis zu 100.000 Transplantationen jährlich stattgefunden – doch woher all die Organe kamen, ist ungeklärt. Die Zahl der freiwilligen Organspenden ist verschwindend gering und auch die Zahl der Exekutierten deckt sich bei weitem nicht mit den Transplantationszahlen.
Im Juni 2016 veröffentlichte der kanadische Menschenrechtsanwalt David Matas zusammen mit weiteren Autoren einen 680-Seiten starken Bericht über Chinas Transplantationsindustrie.
Am 10. Januar hatte Matas im Auswärtigen Amt in Berlin ein Treffen mit Holger Tillmann, dem persönlichen Referenten von Bärbel Kofler (Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechte und humanitäre Hilfe).
Hier sein Resümee der Begegnung.
EPOCH TIMES: Herr Matas, Sie haben heute ihre neuen Erkenntnisse im Außenministerium vorgestellt?
David Matas: Habe ich. Und Herr Tillmann war mit der Materie ziemlich vertraut wegen des bilateralen Menschenrechtsdialogs von Deutschland und China, der erst im November in Berlin stattfand. Und er meinte, es wurden dort Organraub und die Verfolgung von Falun Gong erwähnt. Die Beweise, die dafür vorlägen, seien hinreichend seriös genug, dass China darauf antworten müsse. Die Chinesen sagten jedoch nichts dazu.
ET: Die Chinesen sagten nichts zu den von deutscher Seite vorgebrachten Beweisen oder Fragen?
Matas: Nicht nach der Darstellung, die ich habe.
In diesem Kontext sprachen wir auch darüber, dass Untersuchungen des Organraubs durch andere Länder stattfinden müssen. Also diskutierten wir, wo diese Ermittlungen stattfinden sollten und wer sie durchführen könnte. Da meinte ich: Deutschland könnte es tun. Ein einzelnes Land kann es bereits tun. Aber auch die EU oder der Europarat. Das haben wir besprochen.
Wir sprachen außerdem über das aktuelle Anti-Organhandels-Abkommen des Europäischen Rates. Tillmann meinte in diesem Kontext, dass Deutschland dieses Abkommen nicht unterzeichnen wird – weil man denkt, dass das deutsche Transplantationsgesetz besser sei, als das Abkommen. Man stimmt einem Satz in dem Abkommen nicht zu.
Ich nannte drei Punkte, in denen man das deutsche Transplantationsgesetz verbessern könnte: Erstens müsste es Gesamtberichte geben, um Organtourismus offenzulegen, diese müssten vom Gesundheitssystem verfasst werden. Meiner Ansicht nach braucht man Statistiken und Beweise, um Organtourismus strafrechtlich verfolgen zu können. Tillmann sprach jedoch über ärztliche Schweigepflicht und Patientenrechte, wegen denen er besorgt sei. Ich entgegnete ihm, man sollte wegen der Organquelle besorgt sein … Also ging es so hin und her.
ET: Sieht er die Notwendigkeit, dass ein möglicherweise stattfindender Organtourismus von Deutschland nach China untersucht werden muss?
Matas: Ja, die sieht er. Er spricht beim Thema „Untersuchungen“ jedoch nur über den Transplantationsmissbrauch, der in China passiert. Er sprach nicht über eine nötige Untersuchung eines deutsch-chinesischen Organtourismus. Und meine Ansicht gegenüber diesem Organtourismus ist: Nicht untersuchen. Unterbinden!
ET: Solange die Leute aber nicht sehen, dass Organtourismus stattfindet, werden sie überhaupt nichts dagegen tun.
Matas: Das ist eine Art Teufelskreis: Es gibt keine zusammenfassenden Berichte. Deshalb kennt man die Zahlen nicht – und solange man die nicht sieht, sieht man das Problem nicht, und niemand tut etwas. Wie kommt man da heraus? Zuerst müssen zusammenfassende Berichte her, dann sieht man das Ausmaß des Problems.
Der zweite Punkt: Das deutsche Gesetz ist zwar ein territorial gültiges, aber es gilt auch für Personen aus dem internationalen Ausland. Also sollte es, meiner Meinung nach, auch für Leute mit ständiger Aufenthaltsgenehmigung und Besucher gelten. Er meinte: Ja, das wäre wahr. Aber nur, wenn es um Verbrechen gegen die Menschlichkeit ginge. An diesem Punkt sage ich: „Das hier IST ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sprechen Sie es aus! Lassen Sie das nicht einfach unbenannt im Raum stehen.“
Der dritte Punkt ist: Das aktuelle Gesetz verhindert Organhandel. Aber es verhindert nicht Transplantationstourismus, der eine Form des Organhandels darstellt. Also auch hier wieder: Nicht schwammig belassen – sondern juristisch definieren!
Er meinte dann, dass einige dieser Angelegenheiten wirklich nicht Sache des Außenministeriums seien, sondern in den Gesundheitssektor fallen.
Ich unterstelle mal, dass sie wieder unter die äußeren Angelegenheiten fallen würden, wenn man das oben genannte Abkommen unterzeichnen würde, aber das tut man nicht.
ET: Was sagen die Deutschen zum italienischen Schritt, Organtourismus zu verbieten?
Matas: Wir haben nicht direkt über das italienische Gesetz gesprochen, weil man im deutschen Außenministerium ja der Ansicht ist, dass das eigene Transplantationsgesetz noch besser als das Abkommen des Europarates ist. Aber das Abkommen könnte man ja auch verbessern, weil es nicht ideal ist! Das wäre zumindest eine Gelegenheit, um das Thema Organraub ins öffentliche Rampenlicht zu heben. Wenn ein Staat das Abkommen unterzeichnet, dann muss er es implementieren – und dann gibt es ein Gesetzgebungsverfahren usw., also eine Plattform, um ausführlicher über das Thema Organraub zu sprechen. Wenn man sich jedoch wie Deutschland von vorne herein dagegen entscheidet, dieses Abkommen zu unterzeichnen, dann ist die Gelegenheit futsch, um dieses Abkommen als Aufhänger für politische Diskussionen zu nehmen.
Wir sprachen auch noch von den Menschenrechtsberichten der Bundesregierung bei der UN, die bezüglich China in den vergangenen Jahren keine Erwähnung von Falun Gong und Organraub machten. Diese Berichte kommen alle paar Jahre heraus. Seitdem unser Report im Jahr 2006 herauskam, hat sich China in Genf zweimal geäußert. Ich flog jedes Mal hin und hörte mir die Vorträge der verschiedenen Länder an. Und sowohl Deutschland als auch andere Länder forderten von China, Hinrichtungszahlen zu veröffentlichen, was in gewisser Hinsicht das Thema Organraub streift. Aber das war auch schon alles.
Also forderte ich von Tillmann, dass er über Organraub direkter sprechen sollte.
Dann meinte er: „Wir wollen nicht über Falun Gong reden, weil wir nicht über Opfergruppen reden wollen. Wir wollen über Prinzipien reden.“
ET: Ist das nicht eine Ausrede, die einen nicht zu nennen, um die anderen nicht zu übergehen?
Matas: Also ich hätte auch nichts dagegen, wenn er über die Tibeter sprechen würde. Aber das war gar nicht sein Argument – vielleicht spielte es im Hintergrund mit. Dann konterte ich: Also wenn Sie über Prinzipien reden wollen, dann gibt es die Weltgesundheitsorganisation WHO und deren Bestimmungen zum Thema Organtransplantation, wo es um Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Verteilung usw. geht. Dann reden Sie doch mal darüber, wie China deren Bestimmungen in die Tat umsetzt.
ET: Also ist es sehr schwer, die Leute zu motivieren, wirklich gegen Organraub in China vorzugehen?
Matas: Immerhin erkennt Deutschlands Auswärtiges Amt die Seriosität der bereits stattgefundenen Ermittlungsarbeit an. Das ist ein Problem, das wir andernorts haben, wo sich die Zuständigen noch nie damit auseinandergesetzt haben und demzufolge nichts unternehmen. Das ist in Deutschland nicht das Problem.
Und trotzdem finde ich, dass noch viel mehr unternommen werden könnte. Diesen Standpunkt teilte ich Tillmann mit, indem ich zustimmte:
Ok, es ist schwer, Dinge herauszufinden, die in China passieren. Aber es ist nicht unmöglich! Man braucht dazu Kontinuität, man braucht Öffentlichkeitsarbeit.
Dann meinte er: Wenn es zum Menschenrechtsdialog komme, treffe man sich vorher und nachher mit NGOs, gebe Pressekonferenzen und halte den Dialog nicht geheim – was ich schon mal gut finde. Aber das hat natürlich immer noch keine Auswirkung auf China.
Was man aber wirklich tun kann, ist, Mittäterschaft zu verhindern. Hier müssten Deutschland und andere Länder noch viel mehr tun, um diese Mittäterschaft auszuschließen. Zum Beispiel beim Transplantationsgesetz angefangen, wo man schärfer gegen einen Transplantationstourismus formulieren könnte.
ET: Bei Ihrem letzten Vortrag in Berlin hatten Sie erwähnt, dass Deutschland zum Beispiel die Möglichkeit hätte, chinesischen Transplantationsärzten die Einreise zu verweigern und zu verhindern, dass sie hier Aus- oder Weiterbildung erhalten.
Matas: Hierzu hat Tillmann gesagt, dass man Einreiseverbote nur auf EU-Ebene verhängen könne, wegen des Schengen-Abkommens. Ok, wenn das also auf EU-Ebene passieren muss, dann sage ich: TUN Sie das auf EU-Ebene! Das EU-Parlament hat nun schon zweimal Resolutionen verabschiedet, welche die EU-Kommission zum Handeln auffordern.
ET: Und in dieser Resolution wurden ja auch die einzelnen Länder aufgefordert, aktiv zu werden. Was ist in anderen Ländern passiert, seit das „Update“ Ihres Reports herauskam?
Matas: Mittlerweile haben 17 Länder das Abkommen des Europarats unterzeichnet. Deutschland ist eines der wenigen, die nicht unterschreiben wollen. Das Gute ist, dass nicht nur europäische Länder das Abkommen unterzeichnen können, sondern auch jedes andere Land der Welt – wenn es die Erlaubnis des Europarats hat. Ich reise nun nach Lettland. Das ist zwar kein Unterzeichnerstaat, aber sie denken dort darüber nach.
ET: Was denken Sie: Ist Deutschland ängstlich?
Matas: Wenn es um Ermittlungen geht, sehe ich keinerlei Hindernis, warum Deutschland das nicht alleine machen könnte. Man denke nur an das Beispiel aus dem Kongo, vor dem ersten Weltkrieg, wo Großbritannien auf eigene Faust herausfand, dass im Kongo Völkermord stattfand.
Es sieht so aus, als ob es einen echten Impuls im deutschen Parlament gibt, eine Resolution zu verabschieden, die Untersuchungen fordert – angestrengt von MdB Martin Patzelt vom Menschenrechtsausschuss und anderen. Meine einzige Sorge ist nur: Momentan fangen verschiedene Institutionen an, Untersuchungen des Organraubs zu fordern – aber bisher führt niemand diese Untersuchung auch tatsächlich durch. Das EU-Parlament, der US-Kongress, das Subkomitee für Menschenrechte in Kanada, das Komitee für auswärtige Angelegenheiten Kanadas. Alle rufen nach Untersuchungen, aber keiner zieht es durch.
Und bezüglich des EU-Parlamentes möchte ich anmerken: Ich ging zur EU-Kommission und meinte: „Das EU-Parlament möchte, dass Sie den Organraub in China untersuchen.“ Die EU-Kommission sagt dazu: „Nur weil das Parlament es fordert, machen wir es nicht. Wir würden es machen, wenn der Ministerrat es fordert.“ Ok. Dann soll der Ministerrat eine Anfrage stellen. Es rufen aktuell auch Mitglieder des Europarats danach. Das ist meiner Ansicht nach noch die vielversprechendste Aussicht auf eine institutionell durchgeführte Ermittlung.
ET: Die neue US-Regierung tritt demnächst ins Amt. Erwarten Sie irgendwelche Änderungen unter Donald Trump?
Matas: Also es wird offensichtlich eine Menge Veränderung auf anderen Gebieten geben. Aber beim Thema China sage ich „vielleicht“.
Trump hat Peter Navarro in sein Regierungsteam berufen, der über China schon oft und sehr kritisch geschrieben hat – meist aus wirtschaftspolitischer Sicht. Er ist Autor des Buches „Death by China“, wo er von Währungsmanipulation bis zu vergifteten Produkten alles behandelt – also ein Mann, der sich bezüglich China keinerlei Illusion hingibt. Ich erwarte ein aggressiveres Auftreten der USA zum Thema Handel, einerseits wegen Trumps Ankündigungen im Wahlkampf und andererseits wegen Navarros Hintergrund. Ich denke, dass er Trumps China-Politik stark beeinflussen wird, zumal Trump kein Polit-Profi ist.
Meine Besorgnis bezüglich Chinas gilt der Menschenrechtslage und ich habe oft die Erfahrung gemacht, dass die Opposition, die wir Menschenrechtsverteidiger erfahren, häufig von Leuten kommt, die eine Beeinträchtigung ihrer Handelsbeziehungen mit China fürchten. Insofern sind Leute, die keinerlei Bedenken wegen dieser Handelsbeziehungen haben, möglicherweise freier, wenn es darum geht, Sorge über Menschenrechtsthemen zu äußern.