Menschenrechte in China: «Das bundesrätliche Motto vom Wandel durch Handel ist längt überholt»

Menschenrechte in China: «Das bundesrätliche Motto vom Wandel durch Handel ist längt überholt»

NZZ, 01.10.2021

Unten ein Artikel aus der NZZ, Foto Thomas Peter / Reuters.

China ist der forschere Ton der kleinen Schweiz in Sachen Menschenrechte in den falschen Hals geraten. Vor kurzem signalisierte Peking den Unterhändlern des Bundes, dass man nur unter der Voraussetzung bereit sei, das bestehende Freihandelsabkommen zu erneuern, wenn die Schweiz sich mit Forderungen im Bereich der Menschenrechte zurückhalte, wie die NZZ letzte Woche berichtete.

China verwahrt sich gegen Kritik aus der Schweiz

Eine Stellungnahme der chinesischen Botschaft in Bern, die dieser Zeitung zugesandt wurde, erhärtet diesen Eindruck. Die Schweiz habe grosse Erwartungen in die Erneuerung des Abkommens und man sei offen dafür, heisst es darin zwar. «China ist jedoch dagegen, eine Verbindung zwischen Menschenrechtsfragen und dem Freihandelsabkommen zu erzwingen.» Man sei gegen «feindselige Handlungen mit voreingenommenen Stellungnahmen und ideologische Vorurteile, die darauf abzielten, sich in die chinesische Innenpolitik einzumischen».

Als eine solche Einmischung hätte die Volksrepublik zweifellos die Aufnahme eines verbindlichen Kapitels zur Einhaltung der Menschen- und Arbeitsrechte in das Freihandelsabkommen betrachtet. Diese Woche debattierte der Nationalrat darüber. Er lehnte einen entsprechenden Vorstoss der Aussenpolitischen Kommission jedoch ab; auch im Wissen, dass er einer Aktualisierung des Abkommens damit wohl endgültig die Türe zugeschlagen hätte. Wirtschaftsminister Guy Parmelin warnte denn auch im Rat davor, dass die Verankerung solcher Bestimmungen im Abkommen schlicht «nicht realistisch» sei.

Doch wie könnte eine kluge Handelspolitik aussehen, die den Menschenrechten mehr Gewicht beimisst? Und welche rechtlichen Möglichkeiten hat die Schweiz, um zu verhindern, dass Produkte, die in Zwangsarbeit hergestellt werden, nicht auch noch zollbefreit in die Schweiz gelangen können? Einen interessanten Ansatz präsentiert Handelsrechtsexperte Thomas Cottier in einem Rechtsgutachten zu China, das er im Auftrag der Nichtregierungsorganisationen Alliance Sud, Public Eye und der Gesellschaft für bedrohte Völker erstellt hat.

Cottier stand als Direktor lange dem World Trade Institute in Bern vor und ist für die Schweiz seit Jahrzehnten in verschiedenen WTO-Gremien tätig. Er sagt: Freihandelsabkommen mit autokratischen Ländern seien nicht dazu geeignet, um Auflagen bei systematischen Menschenrechtsverletzungen zu erzwingen. Denn anders als etwa im Bereich des Umweltschutzes oder der Nachhaltigkeit hätten die Regierungen der Vertragspartner keinerlei Interesse, in den bilateralen Verhandlungen die Verletzung von Menschenrechten einzugestehen. Gespräche dazu würden immer in Meinungsverschiedenheiten enden.

Punktuelle und isolierte Ansätze zur Stärkung der Menschenrechte, wie etwa die Verankerung eines Menschenrechtskapitels im Handelsvertrag mit China, stiessen deshalb zwangsläufig an politische Grenzen. Notwendig sei stattdessen ein grundlegender Kurswechsel in der Aussenwirtschaftspolitik – und geschehen müsse dieser auf der Basis eines neuen, soliden Gesetzes.

Mehr Mitspracherecht für das Parlament

Darin soll die Politik in einem demokratischen Prozess die Handelsgrundsätze für die Schweiz festlegen und gleichzeitig den Spielraum definieren, unter dem internationale Verträge ausgehandelt werden dürfen, insbesondere auch im Bereich der Umwelt und der Menschenrechte. Die Vorteile für ein solches Vorgehen liegen laut Cottier auf der Hand: Erstens käme das Parlament so frühzeitig zu seinem Mitspracherecht – und nicht wie heute erst dann, wenn der Vertrag bereits ausgehandelt sei. Zweitens würden diese Grundsätze gegenüber allen Ländern gelten – und nicht nur selektiv gegenüber einem einzelnen Land wie China.

Anders als der Bundesrat, der allein auf einen unverbindlichen Dialog setzt und weitergehende Handlungsmöglichkeiten verneint, kommt der Berner Professor zum Schluss, dass die Schweiz auch die gesetzliche Grundlage schaffen sollte, um bei schweren Menschenrechtsverstössen Handelsbeschränkungen und Auflagen im Bereich der Zölle auszusprechen. Solche eigenständigen Wirtschaftssanktionen könnten zwar innerhalb der WTO angefochten werden. Doch hätte die Schweiz gute Gründe, sie zu verteidigen, wenn zwischen dem gehandelten Gut und Menschenrechtsverletzungen ein unmittelbarer Zusammenhang besteht.

Die Verankerung von einseitigen Massnahmen würden es der Schweiz laut Cottier etwa erlauben, menschenrechtliche Anliegen gegenüber mächtigeren Ländern durchzusetzen. So könnte sie etwa über Textilprodukte aus der Provinz Xinjiang, die mutmasslich von uigurischen Häftlingen in Internierungslagern hergestellt werden, ein Einfuhrverbot verhängen. Diese gesetzliche Grundlage würde zugleich auch dafür sorgen, dass der Menschenrechtsdialog der Schweiz in China ernst genommen wird.

Für solche einseitigen Massnahmen müssten allerdings zuerst innenpolitisch die Weichen gestellt und eine entsprechende gesetzliche Grundlage geschaffen werden. Dafür stark macht sich derzeit mit Alliance Sud, die Gesellschaft für bedrohte Völker und Public Eye ein Teil jener Allianz von NGO, die im letzten Jahr mit der Konzernverantwortungsinitiative nur ganz knapp am Ständemehr gescheitert ist.

Mit der Ausarbeitung eines neuen Aussenwirtschaftsgesetzes wollen die NGO nun «ein weiteres dickes Brett bohren», sagt Thomas Braunschweig von Public Eye. Im nächsten Schritt gehe es darum, die Idee politisch möglichst breit abzustützen sowie auch die Wirtschaft für das Anliegen zu sensibilisieren. Die Chancen, dafür Gehör zu finden, hält er für sehr intakt.

Tatsächlich mehren sich im Parlament die Stimmen, welche die traditionelle Gewichtung zwischen Wirtschaftsinteressen und Menschenrechten in der Schweizer Aussenpolitik zugunsten der Letzteren verschieben wollen. Auch ist der Wunsch nach einer verstärkten Mitsprache im Bereich der Aussenhandelspolitik häufiger zu vernehmen.

Seco sieht keinen Handlungsbedarf

Wenig Anklang finden die Forderung der NGO allerdings beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Mit einem neuen Gesetz erhielten die Handelsdiplomaten des Bundes zusätzliche Fesseln beim Aushandeln von Handelsverträgen. Entsprechend gross ist dort die Skepsis: Die bestehenden Rechtsgrundlagen gewährten dem Bundesrat in der Aussenwirtschaftspolitik die nötige Flexibilität, um auf die zahlreichen Herausforderungen angemessen zu reagieren, sagt Seco-Sprecher Fabian Maienfisch. Neue gesetzliche Grundlagen seien deshalb nicht notwendig. Ebenso wären unilaterale Massnahmen der Schweiz zugunsten politischer Ziele kaum effektiv und überdies volkswirtschaftlich nicht sinnvoll.

Cottier betont derweil, dass die Schweiz ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setze, wenn sie die Menschenrechte weiterhin so stiefmütterlich behandle. Die Schweiz verfolge seit dem Zweiten Weltkrieg eine Politik nach dem Grundsatz «Wandel durch Handel». Diese Strategie sei lange Zeit aufgegangen und habe in vielen Ländern zu besseren Lebensbedingungen geführt. Die autoritären Tendenzen in China zeigten jedoch, dass das bundesrätliche Motto vom «Wandel durch Handel» längt überholt sei. Die Schweiz müsse deshalb den Schutz der Menschenrechte und der eigenen Werte gegenüber der Volksrepublik wie auch gegenüber andern Ländern stärker ins Zentrum stellen.