„Es ist enttäuschend, wie Deutschland sich positioniert“
Welt.de, 24.04.2021
Unten ein Artikel von Welt.de, Foto WUC
China unterdrückt die muslimische Minderheit der Uiguren seit Jahren. Doch der Aufschrei des Westens ist bislang weitgehend ausgeblieben. Erst jetzt hat die EU erste Sanktionen verhängt. Der Präsident des Weltkongresses der Uiguren erklärt, warum das nicht reicht.
WELT AM SONNTAG: Im März hat die Europäische Union wegen der Unterdrückung der Uiguren Sanktionen gegen vier chinesische Offizielle verhängt. Es sind die ersten Sanktionen wegen Menschenrechtsverletzungen seit mehr als 30 Jahren. Wie beurteilen Sie den Schritt?
Dolkun Isa: Wir begrüßen die Sanktionen. Sie sind ein deutliches Signal, dass der chinesische Staat nicht einfach einen Genozid betreiben und ungestraft davonkommen kann. Aber die Sanktionen sind nicht genug. Die vier sanktionierten Offiziellen haben nur entfernt mit den Verbrechen zu tun. Der Hauptschuldige, der Parteichef von Xinjiang, Chen Quanguo, ist nicht auf der Liste. Er gehört auf die Liste wie kein Zweiter. Wir begrüßen auch die Bemühungen der Bundesregierung in Deutschland. Sie hat hinter den Kulissen dazu beigetragen, dass die europäischen Sanktionen zustande gekommen sind. Aber wenn man sich insgesamt anschaut, wie sich Deutschland zu der Unterdrückung der Uiguren positioniert, ist das enttäuschend. Die USA, Kanada und die Niederlande bezeichnen die Verbrechen inzwischen als „Genozid“. Wir fordern die Bundesregierung auf, es diesen Ländern gleichzutun. Doch Bundeskanzlerin Angela Merkel schweigt zu diesem Thema leider. 2007 traf sie den Dalai Lama, das geistliche Oberhaupt der Tibeter. Wir haben 2018 um ein Treffen mit der Bundeskanzlerin gebeten. Bis heute hat sie sich nicht mit uns getroffen.
WELT AM SONNTAG: Die Unterdrückung der Uiguren sorgt inzwischen auch für wirtschaftliche Verwerfungen. Das schwedische Unternehmen H&M bezieht nach Berichten über Zwangsarbeit keine Baumwolle mehr aus Xinjiang – und wird dafür in China neuerdings boykottiert. Auch das deutsche Unternehmen Hugo Boss gab im vergangenen Jahr zunächst bekannt, keine Baumwolle aus Xinjiang mehr zu verwenden, nahm das aber inzwischen zurück.
Isa: Deutsche Unternehmen müssen ihre Geschäfte in Xinjiang einstellen. Wer das nicht tut, macht sich zum Gehilfen eines Genozids. Sollte Hugo Boss immer noch Baumwolle aus Xinjiang beziehen, hat das Unternehmen Blut an den Händen.
WELT AM SONNTAG: Ihre Mutter ist in einem chinesischen Internierungslager gestorben. Wie haben Sie davon erfahren?
Isa: Bis 2017 telefonierte ich regelmäßig mit meinen Eltern, etwa einmal die Woche. Im April sagte meine Mutter am Telefon dann plötzlich, ich solle sie nicht mehr anrufen, nie wieder. Das war merkwürdig. Immerhin gelte ich in China seit 2003 als Terrorist. In all den Jahren hat sie nie so etwas gesagt. Sie hat wohl etwas geahnt. Natürlich habe ich trotzdem wieder angerufen. Aber wenige Monate später hat sie nicht mehr abgehoben. Ich habe versucht, meine Geschwister anzurufen. Aber auch sie sind nicht mehr ans Telefon gegangen.