Erkin Alptekin: Der Dialog ist die Grundlage gegenseitigen Verstehens

Der Dialog ist die Grundlage gegenseitigen Verstehens,

der Zusammenarbeit und der friedlichen Koexistenz.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben bestimmte Kreise Kriege zwischen verschiedenen Kulturen prophezeit, da die kulturelle Zugehörigkeit die nationale als Hauptquelle der Identitätsfindung der Völker ersetzt hat.

Aber diese Argumente sind jedoch bloße Behauptungen, die weder selbstverständlich noch erwiesen sind, denn Kulturen haben weder Regierungen, noch Armeen, noch die Autorität Krieg zu erklären.

Man sprach über verschiedene Kulturen, konzentrierte sich jedoch hauptsächlich auf den Islam. Es wurde behauptet, der Islam stelle für den Westen die größte Gefahr nach Beendigung des Kalten Krieges dar. In anderen Worten, Islam gegen Christentum. Schließlich besteht der Westen mehrheitlich aus Christen.

Man schätzt, daß es heute mehr als eine Milliarde Muslime auf der Welt gibt, aber mehr alsdie Hälfte von ihnen leben unter nicht moslemischen Regierungen. Eine Kriegserklärung an den Westen steht völlig außer Frage, da die große Mehrheit der Muslime unter nicht-moslemischen Regierungen einen Kampf auf Leben und Tod führt, um ihre kulturelle Identität angesichts einer systematischen Assimilierung durch fremde Regierungen zu bewahren.

Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es nur drei unabhängige islamische Staaten. Der Rest erlangte erst nach dem Zweiten Weltkrieg die Unabhängigkeit. Diese unabhängigen islamischen Länder haben keine einheitlichen politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Interessen. Araber sind zum Beispiel Muslime, wie auch die große Mehrheit der Turkvölker und die Muslime in Asien. Sie haben wenig gemeinsam außer ihrer Religion.

Außerdem hat jedes der fast 50 unabhängigen islamischen Länder seine eigenen nationalen Interessen, Probleme und politischen Institutionen, die sich von denen der anderen unterscheiden, z. B. im Vergleich zu vielen arabischen Ländern haben die Türkei und dieanderen turkstämmigen Republiken enge Beziehungen mit Israel.Und, obwohl sie die gleiche Sprache sprechen haben arabische Ländern auch keine einheitlichen Interessen.

Warum sollten sie also alle Krieg gegen den Westen führen wollen, wenn sie nicht einmal inder Lage sind, moderne Waffen zu entwickeln, die den Massenvernichtungswaffen des Westens standhalten könnten.

Die Türkei ist ein Mitglied der NATO. Ägypten, Saudi Arabien und die anderen Golfstaaten haben enge Beziehungen zum Westen. Der Iran, der Irak, Pakistan und selbst Libyen waren alle seit dem Ersten Weltkrieg in bestimmten Phasen Verbündete des christlichen Westens. Z. B. das Osmanische Reich war Verbündeter des Kaiserreiches Deutschland. Araber waren dieVerbündeten Englands gegen die Osmanen. Während des Golfkrieges haben viele islamische Länder einen militärischen Pakt mit dem Westen gegen den Irak gebildet.

Diejenigen, die einen Krieg zwischen den Kulturen vorhersagen, erwähnen dies nicht.

Wenn sie sich auf den Islam konzentrieren und dabei die Fundamentalisten in der islamischen Welt meinen, so ist das etwas anderes. Aber nicht alle Muslime der Welt sind Fundamentalisten, militant oder Terroristen im westlichen Sinne. Die Araber bezeichnen dieFundamentalisten als „ghulat“ oder „Fanatiker“.

Die Fundamentalisten, Opfer von Armut, Arbeitslosigkeit und Elend, tauchten auf, als es derBaath-Partei, bzw. dem in ihren Ländern praktizierten Sozialismus und Kommunismus nicht gelang, ihre politischen, wirtschaftlichen und sozialen Erwartungen zu erfüllen. Sie wurden von den westlichen Ländern gestärkt, die sie benutzten, um den sowjetischen Einfluß in derislamischen Welt einzuschränken, indem sie Slogans wie „der Atheistische Kommunismus istder größte Feind des Islam“  verbreiteten.

Sie hoffen, ihre gegenwärtigen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme durch das Lehren islamischer Prizipien zu lösen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen sie zuerst islamische Staaten, die auf der Sharia beruhen, gründen – wenn notwendig, mit Gewalt. Dann wollen sie den Westen islamisieren, von dem einst die Kreuzzüge ausgingen.

Neuere westliche Studien gehen davon aus, daß die Fundamentalisten, die nur eine kleine Minderheit in der islamischen Welt darstellen, auf lange Sicht keine wirkliche Gefahr für den Westen bedeuten werden, weil ihnen die Mittel fehlen, ihre Ziele zu verwirklichen.

Die wirkliche Gefahr für Frieden und Stabilität in der Welt stellen die korrupten, despostischen und totalitären Regimes dar, sowie wachsende Armut, Arbeitslosigkeit und Verelendung, fortwährende Menschenrechtsverletzungen, religiöse Intoleranz und ungerechte Regierungen in vielen Ländern der Welt. Das sind die Hauptgründe, die heute in mehr als 40 Ländern der Erde zum Ausbruch blutiger Konflikte geführt haben.

Die hunderttausende von verarmten Städten und Dörfern des südlichen und östlichen Mittelmeers könnten jedoch eine unmittelbare Gefährdung der Sicherheit und des Wohlstands Westeuropas darstellen. Wenn die westeuropäischen Länder nicht bereit sind, den Mittelmeerländern ernsthaft zu helfen und ihnen beizustehen, ihre politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme zu lösen, besteht die Gefahr, daß in naher Zukunft durch Masseneinwanderung und immer blutigere Unruhen, die von den Fundamentalisten geschürt werden, unmitttelbare Probleme für Westeuropa drohen.

Dies kann allerdings nur verhindert werden, wenn Europas arabische Nachbarn beschließen, sich in offene, pluralistische und demokratische Gesellschaften zu verwandeln. Und der Westen muß lernen, sein Mißtrauen gegenüber der islamischen Welt abzulegen.

Sicher wird es nicht leichfallen, das Mißtrauen zwischen Muslimen und Christen zu überwinden, das auf der Zeit der arabischen Eroberung Spaniens stammt, der Zeit derKreuzzüge, der ottomanischen Einfälle in Europa, der westlichen Kolonialherrschaft in vielen islamischen Ländern und den „ethnischen Säuberungen“ in Bosnien.

Aber eine neue Weltordnung, eine Globalisierung der Weltwirtschaft im wahren Sinne des Wortes, Friede und Stabilität werden nicht erreicht werden, wenn nicht insbesondere Muslime und Christen und alle anderen Kulturen Anstrengungen unternehmen, miteinander auszukommen.

So sollten sie, anstelle Feindbilder aufzubauen, Freundschaften schließen. Sie sollten Vorurteile überwinden. Sie sollten lernen, den Glauben, die Gebräuche und Traditionen des Anderen zu tolerieren. Sie sollten aufhören, verschiedene Maßstäbe anzulegen, je nach Glaube, Rasse oder Hautfarbe. Sie sollten aufhören, exklusive Klubs zu schaffen, zu denen derZutritt für andere Kulturen verboten ist. Sie sollten anderen Kulturen helfen und ihnen beistehen, sich in die jeweiligen Gesellschaften zu integrieren.

Der Dialog ist die Grundlage gegenseitigen Verstehen, der Zusammenarbeit und derfriedlichen Koexistenz. Gegenseitiges Vertrauen kann sich ohne Dialog nicht entwickeln und es gibt keine friedliche Veränderung ohne Vertrauen. Heutzutage ist der Dialog zwischen Muslimen, Christen, Juden und Mitgliedern vieler verschiedener Kulturen wichtiger als je zuvor. Schließlich entstanden ja auch Judentum, Christentum und Islam in derselben Region. Welche Ungerechtigkeiten auch immer im Namen der Religion vollbracht wurden, sie entsprechen nicht den Grundsätzen dieser Religionen. Nächstenliebe, Frieden und Toleranz sind die Basis alller Religionen.