Dolkun Isa: Von Peking bedrohter Aktivist
China.Table, 19.02.2021
Unten ein Artikel aus dem China.Table, Foto WUC.
Einflussnahme und Drohungen durch chinesische Spitzel auf Kritiker des Regimes im Auslandbereiten US-Politikern große Sorge. In einem zweiseitigen Schreiben warnte eine HandvollSenatoren und Kongressabgeordnete in der vergangenen Woche Außenminister Anthony Blinken vor repressiven Regierungen, die „zunehmend unverschämt“ jenseits ihrer eigenen Staatsgrenzen Methoden der Unterdrückung anwenden würden, um Regimegegner zum Schweigen zu bringen. China, aber auch Russland, die Türkei, Ägypten und Saudi-Arabien würden die Souveränität anderer, „oftmals demokratischer“ Staaten unterwandern und die Menschenrechte der Verfolgten verletzen.
„Berichten zufolge bedrohen Agenten, die im Namen der chinesischen Regierung handeln, ethnische Uiguren und andere chinesischstämmige Bürger in den USA, Kanada und Europa, um sie im Austausch gegen eine bessere Behandlung von Familienmitgliedern (in China) zum Schweigen zu bringen“, heißt es in dem Brief. Chinesische Dissidenten berichten seit Jahren über Drohungen gegen ihre Familien, die weiterhin in der Volksrepublik leben. Das Federal Bureau of Investigation (FBI) spricht von einem engen Zusammenhang zur Operation Fox Hunt durch die chinesische Staatssicherheit. Seit 2014 zielen Sicherheitsbeamte aus der Volksrepublik auf Chinesen oder Chinesischstämmige, die im Ausland leben. Offiziell richtet sich die ‚Fuchsjagd‘ gegen Korruption. Das FBI geht jedoch davon aus, dass Dissidenten ebenso als Zielscheibe der Operation gelten.
Auch in Deutschland sind chinesische Handlanger offenbar aktiv und bedrohen Aktivisten des Weltkongresses der Uiguren (WUC) in München, eine Vereinigung, die auf die Situation der Uiguren in der autonomen chinesischen Region Xinjiang aufmerksam macht. Dessen Mitgründer und Generalsekretär, Dolkun Isa, sagt im Gespräch mit China.Table, er sei in der Vergangenheit immer wieder eingeschüchtert worden, sei es durch schriftliche Nachrichten, Telefonanrufe oder persönliche Attacken. In Xinjiang sitzen eine Million Uiguren in Umerziehungslagern, in denen es zu Folter und Vergewaltigungen kommen soll. China leugnet die Existenz der Lager nicht, bestreitet aber Berichte über Misshandlungen und spricht stattdessen von Umschulungen.
Nicht bewiesene Vorwürfe des Terrorismus
Isa lebt seit 1996 in Deutschland, seit 15 Jahren ist er deutscher Staatsbürger. Schon in den 1980er Jahren geriet er ins Visier der chinesischen Behörden, weil er einer der Köpfe der uigurischen Studentenbewegung war, die sich damals schon gegen wachsende Repressionen durch Pekings Minderheitenpolitik in der Region auflehnte. Der Physiker und Politologe folgte damals der Empfehlung durch einen wohlgesonnenen Kontakt im chinesischen Machtapparat, das Land zu verlassen. Über den Umweg Türkei kam er schließlich nach Deutschland, wo ihm politisches
Asyl gewährt wurde. „Ich erinnere mich an den Abschied von meinen Eltern. Ich habe nicht geahnt, dass es ein Abschied für immer sein würde“, sagt Isa. Bis 2017 sei regelmäßiger Austausch mit seiner Familie in Xinjiang noch möglich gewesen. Seitdem erfahre er nur noch durch chinesische Medien, was mit seinen Angehörigen vor Ort geschehen ist. Seine Mutter soll in einem der zahlreichen Internierungslager für Uiguren verstorben sein. Auch der Vater ist tot. Woran er gestorben ist, weiß Isa nicht. Von einem jüngeren Bruder fehlt seit fünf Jahren jede Spur, ein älterer Bruder sei zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden, heißt es.
Im Januar 2020 verbreiteten chinesische Staatsmedien dann ein Video, in dem Isas ältere Schwester schwere Anschuldigungen gegen ihn erhebt. „Es ist herzlos von meinem jüngeren Bruder, den Tod meiner verstorbenen Eltern zu nutzen, um aus dem Ausland gegen Xinjiang zu hetzen“, sagte sie darin. Sie sei sehr verärgert. Die Eltern, so betonte sie, seien aufgrund von Alter und Krankheit gestorben. Dolkun Isa glaubt, seine Schwester wurde von chinesischen Beamten gezwungen, sich derart zu äußern.
Um Isa zu verunglimpfen, wird er in chinesischen Medien seit Jahren als „Terrorist“ oder „Separatist“ bezeichnet. Man wirft ihm vor, mehrere Bombenanschläge geplant zu haben. Beweise gibt es nicht. Wissen die Chinesen also mehr als deutsche Behörden? Das Auswärtige Amt will sich zwar nicht äußern, aber das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz teilte China.Table mit: „Der Weltkongress der Uiguren ist und war auch in der Vergangenheit kein Beobachtungsobjekt des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz (BayLfV). Dem BayLfV liegen keine nachrichtendienstlichen Erkenntnisse zu terroristischen Verbindungen der betreffenden Organisation oder ihrer Führungsspitze vor.“
Um Isas Auftreten vor internationalen Gremien zu verhindern, greifen auch chinesische Diplomaten offenbar zu drastischen Mitteln. Die Grünen-Abgeordnete Margarete Bause erinnert sich an eine Begegnung in ihrem Büro mit dem chinesischen Generalkonsul in München, als sie noch Fraktionsvorsitzende im bayerischen Landtag war. Das Konsulat hatte vehement auf einen kurzfristigen Termin gedrängt. Kurz zuvor hatte der damals noch weitgehend unbekannte WUC die Politikerin zu einer Veranstaltung eingeladen. Der chinesische Generalkonsul hielt sich kurz, erinnert sich Bause. Er forderte die Abgeordnete umgehend auf, die Veranstaltung zu meiden.
2018 verurteilte die chinesische Botschaft eine Beratung des Deutschen Bundestages zur Menschenrechtslage in Xinjiang und drohte mit einer Verschlechterung der deutschchinesischen Beziehungen. In Rom verhinderten chinesische Diplomaten 2017 eine Anhörung Isas vor dem italienischen Senat. Ein Mitglied des Gremiums sagte Isa damals, Peking habe mit dem Abzug seines Botschafters gedroht. Seinen Zugang zum Gebäude der Vereinten Nationen in New York konnte die chinesische Regierung 2018 mit einer Protestnote nur im ersten Anlauf verhindern. Später wurde Isa doch noch akkreditiert.
Uiguren-Vertretung öffnet Büro in Berlin
Bis 2018 stand der Aktivist, wie sich Isa selbst bezeichnet, auf der Fahndungsliste von Interpol. Erfolglos aus chinesischer Sicht. „Die Vorwürfe gegen den WUC und die Ausschreibung von Herrn Isa zur Fahndung wurden nie konkret begründet oder gar plausibel belegt“, sagt der Terrorismusforscher Sebastian Lange von der Humboldt-Universität in Berlin. Auch die für innere Sicherheit zuständigen deutschen Behörden sähen die geäußerten Vorwürfe als nicht belegt an. Gewiss solle die Deutung eingeführt und verbreitet werden, dass sich der Umgang mit den Uiguren in China aus „legitimen Sicherheitsinteressen“ heraus begründen ließe. „Die Darstellung von Uiguren als Terroristen soll die in China begangenen Menschenrechtsverletzungen relativieren“, glaubt Lange.
So oder so beschreitet der WUC einen schmalen Grat. Eine öffentliche Forderung nach Unabhängigkeit der Region als Republik Ost-Turkistan würde es Peking erleichtern, uigurische Aktivitäten weltweit als Separatismus zu brandmarken. Internationale Unterstützung für die eigene Sache wäre für Isa und seine Mitstreiter dann wohl schwieriger zu organisieren. Deswegen sagt Isa: „Eine Mehrheit der uigurischen Bevölkerung würde eine Unabhängigkeit sicherlich unterstützen. Aber das ist nicht das Ansinnen des Weltkongresses. Uns geht es allein um die politische Selbstbestimmung der Uiguren nach internationalem Recht.“
Um die eigenen Interessen noch besser in Deutschland vertreten zu können, eröffnete der WUC im vergangenen Jahr auch ein Büro in Berlin. Man wolle sich im politischen Herzen des Landes in Zukunft mehr Gehör verschaffen.